Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Jan Marsaleks Spur nach Russland

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Der Ex-Wirecard-Manager wird von vielen Menschen inzwischen in Moskau vermutet. Seine Flucht über Österreich zeigt einiges über das österreichisch-russische Verhältnis.

Kolumne von Vinzent-Vitus Leitgeb

Der kleine Flugplatz bei Bad Vöslau ist ein Ort, an den man wirklich nicht zufällig kommt. Eine halbe Stunde außerhalb von Wien, im Industriegebiet. Zwischen Feldern, auf denen offenbar besonders lärmresistente Hasen herumhüpfen. Sein vielleicht größter Moment liegt auch schon einige Jahrzehnte zurück, daran erinnert ein grauer Gedenkstein nahe dem Eingang: Am 11. April 1955 flog von Bad Vöslau der damalige Bundeskanzler Julius Raab nach Moskau, um Österreichs Neutralität nach dem Zweiten Weltkrieg zu verhandeln.

Es war wohl eher die diskrete Lage des Flugplatzes und nicht die Historie des Ortes, weshalb im Juni 2020 ein anderer Mann von dort Richtung Osten abflog: Jan Marsalek, Wiener, Ex-Vorstandsmitglied des Finanzdienstleisters Wirecard. Kurz nachdem das Unternehmen zusammengebrochen war, floh er aus München über Bad Vöslau raus aus der Europäischen Union. Er landete in Minsk und wird heute ausgerechnet in Moskau vermutet - wenngleich es ihm wohl eher um persönliche Freiheit ging und nicht um die seines Heimatlandes.

Es gibt aktuelle Hinweise, dass der Ex-Wirecard-Boss in Moskau ist

Heute ist der Ex-Manager immer noch einer der meistgesuchten mutmaßlichen Wirtschaftskriminellen der Welt. Doch er hat Spuren hinterlassen. Es gibt gleich mehrere aktuelle Hinweise, dass Marsalek noch immer in der russischen Hauptstadt leben könnte, und das womöglich gar nicht so schlecht: in einer teuren Wohngegend, als Gast in noblen Lokalen. Darum geht es in der aktuellsten Folge des SZ-Podcasts "Wirecard: 1,9 Milliarden Lügen". Und darum, dass die Indizien dafür allerdings meist von Quellen kommen, in denen sowohl Information als auch Desinformation zum Geschäft gehören.

Ganz deutlich wird im Rückblick auf Marsaleks Flucht 2020 dafür etwas anderes: Wie groß die Nähe einiger Österreicher in Politik und Wirtschaft zu Russland war und immer noch ist. In Wien konnte Marsalek wohl über Jahre Kontakte knüpfen, die ihm später bei der Flucht geholfen haben. Konkret: zu russischen Nachrichtendiensten. So sieht es der Wirecard-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags. Und zwar im Umfeld der Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft (ORFG).

In dem Verein selbst will man davon nichts wissen. Es gehe dort um die Freundschaft zwischen den zwei Kulturen. Mitglieder würden diese Idee unterstützen und keine Gegenleistungen bekommen, sagt der aktuelle Generalsekretär Markus Stender der SZ im Podcast. Kontakte gebe es aber natürlich schon: kulturell, politisch, wirtschaftlich. Aber wo man sich dann weiterhangele, das mache jeder selbst.

Eine sehr österreichische Sichtweise, der Neutralität verpflichtet. Von der ORFG heißt es passend auch, dass der Verein definitiv kein Netzwerk für Geheimdienste sei. Wenn ein Mitglied dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB angehören würde, wüsste man es vermutlich gar nicht. "Und wenn es ein prominentes Mitglied des FSB ist, und wir wissen das, haben wir auch kein Problem damit. Aber natürlich passen wir schon ein bisschen auf."

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