Süddeutsche Zeitung

Weimarer Republik:Puzzlealarm in Babylon

Lesezeit: 3 min

Literarisch-archivalische Collagen-Reportagen aus der Weimarer Republik boomen. Auch Christian Bommarius macht auf diese Weise das Krisenjahr 1923 erlebbar. Doch für eine historische Analyse fehlt solchen Büchern einiges.

Von Robert Probst

Die Weimarer Republik hat Konjunktur. Das war lange anders. Aber diverse 100-Jahre-Jubiläen haben die Beschäftigung mit der ersten deutschen Demokratie aus einem sehr, sehr langen Dornröschenschlaf geweckt. Man denke nur an die rege Debatte über die Revolution 1918. Sogar im Fernsehen kann man seit einiger Zeit Zuschauer anlocken mit Serien wie "Babylon Berlin" oder "Eldorado KaDeWe". Auf dem Buchmarkt ist passend dazu sogar ein eigenes Genre geschaffen worden: die literarisch-archivalische Collagen-Reportage.

Als aktuelle Beispiele könnte man Volker Weidermann ( Träumer - Als die Dichter die Macht übernahmen, KiWi 2017), Rüdiger Barth/Hauke Friederichs ( Die Totengräber. Der letzte Winter der Weimarer Republik, S. Fischer, 2018), Thomas Huetlin ( Berlin, 24. Juni 1922. Der Rathenaumord und der Beginn des rechten Terrors in Deutschland, Kiwi 2022) - und besonders erfolgreich derzeit - Florian Illies ( Liebe in Zeiten des Hasses. Chronik eines Gefühls 1929-1939, S. Fischer 2022) nennen. Manche Werke sind als Quellenmontage aus Tagebüchern, Archiven, Briefen und Erinnerungen angelegt, andere werden schon auf dem Buchrücken als Politkrimi angepriesen. Geboten wird also nicht nur eine historische Erzählung, sondern auch Emotionalisierung und Fiktionalisierung - ganz, ganz nah an den Menschen, gelegentlich sogar versehen mit einer raunenden Botschaft a la: Auch unser Untergang ist nah. Derlei Bücher sind die Domäne von Journalisten und Publizisten, doch auch einige Fachhistoriker haben inzwischen die Vorzüge erkannt.

Die Leser können eintauchen in die so fremde und dann doch so nahe Zeit, können mitfühlen, erschrecken oder sich ein bisschen gruseln. Gerne mal mit einer Portion Kitsch oder Pathos garniert. Dass man als Leser oft nicht mehr weiß, ob man hier schon in der Roman-Ecke ist oder noch bei einem Sachbuch, wird offenbar als unproblematisch angesehen. Nachprüfen lässt sich vieles meist nicht - auf Fußnoten, Verweise oder ein allzu langes Quellen- und Literaturverzeichnis wird oft verzichtet, angeblich, um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen. Und es stimmt ja auch: Ohne liest es sich flüssiger.

Auch Christian Bommarius, langjähriger Redakteur der Berliner Zeitung, hat Erfahrung mit dieser Art von Panoptikum. 2018 hatte er sich die deutsche Staatsgründung vorgenommen ( 1949. Das lange deutsche Jahr, Droemer), nun ist also 1923 dran. Im Buch "Im Rausch des Aufruhrs" wird das Krisenjahr der kurzlebigen Republik verdichtet auf die Erlebnisse und Aufzeichnungen Dutzender damals (und teils auch heute noch) berühmter Menschen, und zwar streng chronologisch von Januar bis Dezember.

Den Schwerpunkt legt der Autor auf das (gehobene) Kulturleben, ganz stark konzentriert auf Berlin, die Hauptstadt der Lasterhaftigkeit, wo "die Maßlosigkeit das Maß aller Dinge ist". Die galoppierende Inflation, die Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen, die ständigen gewaltsamen Aufwallungen von Rechts- und Linksextremisten, die zahllosen Streiks, separatistische Bewegungen und die Hetze gegen Juden bilden den Rahmen für die Erzählung. Hauptprotagonisten sind aber weder Reichspräsident Friedrich Ebert noch Krisenkanzler Gustav Stresemann und auch nicht der Novemberputschist Adolf Hitler, es sind Schriftsteller wie Hans Fallada, Joseph Roth, Franz Kafka, Kurt Tucholsky, Vladimir Nabokov oder Bertolt Brecht, Schauspielerinnen und Nackttänzerinnen, Komödianten und Industrielle und ein Haufen völkischer Extremisten. Es geht vordergründig viel um Drogen, Filme, Erotik, Gassenhauer und Bücher.

Bommarius, der erfreulicherweise seinen zahllosen Figuren keine Gefühle andichtet, schafft es aber, durch die Aneinanderreihung zusammenhangloser Episoden sehr gut, das Gefühl der Leere, der Perspektivlosigkeit und der Zukunftsangst in diesem Jahr herauszufiltern und erlebbar zu machen. Starke Sätze wie "Die Deutschen schwimmen im Geld und drohen darin zu ertrinken" helfen da zusätzlich. Jedenfalls mehr als das ständige Gewimmel von zahllosen Nullern aus den Milliarden- und Billionen-Banknoten.

Wer sich aber eine Gesamtschau des Jahres 1923 erwartet, der wird enttäuscht. Politische Prozesse werden nur angerissen; einiges Vorwissen ist nötig, um geschilderte Geschehnisse richtig einordnen zu können. Mit Anmerkungen und Zusatzinfos wird gegeizt. Die Szenerie bleibt weitgehend beschränkt auf Berlin und die Welt der Künstler und Intellektuellen.

Was Bommarius auszeichnet, sind die zahllosen funkelnden Details, die seiner akribischen Archivrecherche zu verdanken sind. So etwa die Einschätzung eines spanischen Journalisten, der nach einem Interview mit Hitler diesen als "gewaltigen, großartigen Dummkopf, der zu einer glanzvollen Karriere berufen ist" bezeichnet und dafür von seiner Redaktion rausgeworfen wird. Oder was es bedeutete, die unfassbare Menge an Geld zu drucken, die zum Jahresende notwendig war ("Im November arbeiten bis zu 133 Fremdfirmen mit 1783 Druckmaschinen für die Reichsdruckerei Tag und Nacht. 30 Papierfabriken produzieren das nötige Banknotenpapier"). Manchmal reicht es auch, Meldungen eines Tages aus zwei Zeitungen zu zitieren, um die Stimmung einzufangen.

Es ist also erfreulich, wenn sich das Lesepublikum mit der Weimarer Zeit befasst; Reportagen-Montagen helfen dabei, sich in diese komplexe historische Vergangenheit hineinzuwagen. Doch Dutzende Puzzleteile und Mosaikstücke ergeben noch lange kein komplettes Bild. Starke Zitate ersetzen nicht die Analyse. Und zum Verstehen braucht es mehr als die Chronik von Gefühlen von Zeitgenossen.

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