Süddeutsche Zeitung

Wahlrecht:Millimeterweise zum Kompromiss

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In der CDU wächst die Bereitschaft, die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren - zum Unwillen der Schwesterpartei aus Bayern.

Von Nico Fried, Berlin

Im Streit um eine Reform des Wahlrechts bewegt sich die CDU - wenn auch nur millimeterweise. Die Christdemokraten haben auf ihrer Vorstandsklausur in Hamburg erstmals signalisiert, dass auch eine Reduzierung der derzeit 299 Wahlkreise Gegenstand der Verhandlungen sein könnte. Das hatte die Unions-Fraktion im Bundestag bislang immer strikt abgelehnt und sich damit auch gegen den von ihr gestellten Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble positioniert. So war Schäuble vor einem Jahr mit einen Kompromissvorschlag gescheitert, für den die Zahl der Wahlkreise um rund zehn Prozent von 299 auf 270 reduziert werden sollte.

Allerdings führt die mögliche Kompromissbereitschaft der CDU bereits zu erheblichem Stress mit der CSU. Die Schwesterpartei, deren Abgeordnete allesamt ihre Wahlkreise direkt gewonnen haben, reagierte am Wochenende schroff auf die Nachricht aus Hamburg. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stefan Müller, erklärte: "Eine Reduzierung der Wahlkreise verhindert nicht ein weiteres Aufblähen des Bundestags." Die Zahl der Wahlkreise habe sich seit 2002 nicht verändert, der Bundestag sei in dieser Zeit allerdings deutlich größer geworden. "Das zeigt: Die Wahlkreise sind nicht das Problem", sagte Müller. Die CSU wolle eine Höchstgrenze von 650 Mandaten unter Beibehaltung der Zahl der Wahlkreise. Das allerdings würde mutmaßlich vor allem zu Lasten der kleineren Parteien gehen, die ihre Abgeordneten über Wahllisten ins Parlament bringen.

Für die CDU gibt es mehrere Motive, sich in der Frage einer Wahlrechtsreform zu bewegen. Zum einen will sie vermeiden, vor der nächsten Bundestagswahl und einer drohenden Aufblähung des Parlaments von jetzt schon 709 auf bis zu 800 Abgeordnete für das Scheitern der Reform maßgeblich verantwortlich gemacht zu werden. Damit würde die CDU zudem Schäuble beschädigen, der noch immer zu den angesehensten Politikern in Deutschland zählt. Schäuble hatte immer wieder eine Reform des Wahlrechts angemahnt und davor gewarnt, dass eine weitere Aufblähung des Bundestags die Legitimität der parlamentarischen Demokratie gefährden könne. "Der Bundestag kann nicht erklären, er könne leider das Wahlrecht nicht ändern, weil man halt keine Lösung finde. Das wird die Öffentlichkeit auf Dauer nicht akzeptieren", hatte Schäuble schon im Mai 2018 in einem Interview gesagt.

CDU und SPD könne ohne die CSU keine Reform beschließen - weder rechnerisch, noch politisch

Die CDU muss außerdem fürchten, dass die SPD sich - ohne Rücksicht auf die Koalition oder sogar als bewusste Provokation - auf die Seite der Opposition schlägt und mit Grünen, FDP und Linken einen Vorschlag verabschiedet, der erst recht auf Kosten der Union ginge. Die vier Fraktionen verfügen derzeit mit 368 Stimmen theoretisch über die notwendige Mehrheit. CDU und SPD wiederum können weder rechnerisch noch politisch ohne die Stimmen der CSU eine Reform beschließen.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer beschwichtigte nach der Vorstandsklausur zunächst: "Wir sind im Moment noch nicht in einer Situation, dass wir schon konkret auch eine Festlegung im Präsidium getroffen hätten", sagte sie in der Pressekonferenz. Die Frage der Direktmandate müsse die CDU sehr sorgsam angehen, weil die direkt gewählten Abgeordneten in einer besonders engen Beziehung zu den Bürgern stünden. "Für uns ist es wichtig, dass auch in der Zukunft sichergestellt wird, dass wir in Deutschland eine gleichmäßige Vertretung durch Abgeordnete haben." Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus appellierte an die Bundestagsabgeordneten, bis Mitte des Jahres doch noch eine Wahlrechtsreform zustande zu bringen. "Nichtstun ist die schlechteste Option in dieser Angelegenheit", sagte er. Grüne, Linke und FDP forderten Einigkeit und Kompromissbereitschaft von der Union. Das "ständige Blockieren und Nichtstun" werde der Ernsthaftigkeit der Lage nicht gerecht, sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann.

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SZ vom 20.01.2020
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