Süddeutsche Zeitung

Vor dem EU-Krisengipfel:"Italien - schlimmer als Griechenland"

Lesezeit: 2 min

Ein Liedchen hier, ein Witz dort: Italiens Premier Berlusconi nimmt alles nicht so wichtig. Die EU-Staats- und Regierungschefs fanden das vor einiger Zeit noch "ganz entspannend". Das hat sich geändert: Beim jetzt anstehenden EU-Krisengipfel wollen sie den Euro retten, nur Berlusconi scheint das Sparen egal zu sein. Der "italienische Faktor" treibt EU-Diplomaten den Angstschweiß auf die Stirn.

Cerstin Gammelin, Brüssel und Andrea Bachstein, Rom

Der italienische Premier Silvio Berlusconi reiste bisher stets mit leichtem Gepäck zu EU-Spitzentreffen nach Brüssel. Verbissen sich seine europäischen Kollegen dort in allzu ernsthafte Debatten, packte er seine Mitbringsel aus. Mal stimmte er unverhofft ein Liedchen an, mal unterbrach er mit einem Witz - was ihm nicht nur betretenes Schweigen einbrachte.

Noch vor zwei Jahren fand es die Chefetage der Europäischen Kommission "ganz entspannend", einen Berlusconi in der Runde der europäischen Staats-und Regierungschefs sitzen zu haben. Endlich mal einer, "der nicht alles so wichtig nimmt", hieß es.

Inzwischen ist die einstige Wertschätzung der italienischen Lässigkeit in einen Albtraum umgeschlagen. Italien sei "das größte Problem der Eurozone, schlimmer als Griechenland", sagt ein hoher EU-Diplomat in Brüssel unmittelbar vor dem am Freitag beginnenden dreitätigen EU-Krisentreffen in der europäischen Hauptstadt.

Doch es sind nicht die Rekordschulden des drittgrößten Euro-Landes, die den Euro-Rettern den Angstschweiß auf die Stirn treibt, und auch nicht die schwächelnde Wirtschaft. Es ist die Regierung in Rom, der das alles offenbar egal ist, die weiterhin so agiert, als sei die internationale Krise ein Nebenschauplatz der Politik - und die damit die gesamte Währungsgemeinschaft in Bedrängnis bringt.

"Italien ist das Hauptthema des Gipfels"

Die italienische Lässigkeit schmerze längst andere Euro-Partner, sagt ein hoher EU-Diplomat. Da ist zum Beispiel Belgien, ein reiches Land, das trotz Regierungskrise in den vergangenen Monaten ein Rekordwachstum hinlegte und demnächst wieder eine richtige Regierung haben wird, die bereits ankündigte, die Neuverschuldung unter die erlaubten drei Prozent, bezogen auf die Wirtschaftsleistung, zu drücken.

Sogar diese positive Entwicklung werde überschattet vom großen Südeuropäer Italien, der alles Vertrauen der Bürger und der Märkte verspiele. "Der italienische Faktor spielt eine große Rolle am Markt, also in der Bewertung aller Euroländer", sagen Unterhändler in Brüssel.

Wenn Berlusconi an diesem Wochenende zum Krisentreffen in die europäische Hauptstadt kommt, erwarten seine Kollegen, dass er Zusagen und Fakten auf den Tisch legt. "Italien ist das Hauptthema des Gipfels", heißt es hinter verschlossenen Türen. Denn nur wenn Berlusconi endlich mithelfe, die Krise zu lösen, indem er Reformen umsetze und spare, könne es der Währungsgemeinschaft überhaupt gelingen, die Krise geschlossen zu überstehen.

Andere EU-Diplomaten werden noch deutlicher. Italien dürfe sich "nicht darauf verlassen, dass wir das Land im Notfall retten, wenn es selbst nichts tut". Sie klagen darüber, dass italienische Unterhändler schweigen, wenn in Brüssel die Kollegen aus allen Ländern um Kompromisse ringen. Sogar das eher europaskeptische Großbritannien bringe "mehr konstruktive Vorschläge ein als Italien".

Berlusconi zeigt sich unwillig

Mindestens zwei Zusagen wollen die Euro-Regierungen Berlusconi an diesem Wochenende in Brüssel abringen. Der Premier müsse versprechen, das im August beschlossenen Spar- und Reformpaket von 52 Milliarden Euro endlich auch umzusetzen. Bisher stehe alles nur auf Papier, das reiche aber nicht. Zudem müsse sich Berlusconi bereiterklären, zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um die aus Brüssel vorgegebenen Sparziele zu erreichen. "Wir erwarten, dass die italienische Regierung so klar wie möglich ihre finanzpolitische Strategie beschreibt", sagt ein hoher EU-Diplomat.

Berlusconi zeigt sich jedoch weiter unwillig. Am Dienstagabend rückte er erneut von seinen eigenen Zielen ab. Das Geld, die Wirtschaft zu fördern, sei "nicht da", verkündete er in Rom. Die Regierung versuche, sich "irgend etwas auszudenken". Dass gerade die Kreditwürdigkeit von zwölf Banken seines Landes herabgestuft wurde, erwähnte er nicht. Er sagte auch nicht, ob die Finanzinstitute gerüstet sind, um Verluste aus griechischen Anleihen zu verkraften. Kürzlich haben Industrie, Versicherungen, Banken und andere Branchen ein Manifest mit fünf Punkten für Maßnahmen vorgelegt. Geantwortet hat die Regierung nicht. Berlusconi ließ nur ausrichten, ein Wachstumsprogramm werde vorgelegt, wenn ein überzeugender Inhalt erarbeitet ist. "Ich habe keine besondere Eile."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1169032
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.10.2011
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.