Süddeutsche Zeitung

Von der Leyen in Berlin:Auf Augenhöhe mit der ehemaligen Chefin

Lesezeit: 2 min

Von Stefan Braun und Jens Schneider, Berlin

Sollte es noch einen Zweifel an Ursula von der Leyens Unabhängigkeit gegeben haben, dann ist der an diesem Freitag endgültig aus der Welt geschafft worden. Auch wenn die CDU-Politikerin vierzehn Jahre lang unter Angela Merkel im Kabinett saß - als gewählte Präsidentin der neuen EU-Kommission ist sie in wenigen Wochen ganz und gar zu ihrer Chefin geworden. Das machte ihr Auftritt an der Seite der Kanzlerin deutlich: Freundlich im Ton und klar in den Ansprüchen präsentierte sich von der Leyen und lächelte ihre ehemalige Kanzlerin dabei so selbstbewusst an, dass einen glatt das Gefühl beschleichen konnte, die Hierarchien hätten sich bereits komplett verschoben.

So weit ist es natürlich noch nicht gekommen. Und doch erklärte von der Leyen am Ende des kurzen Auftritts mit Blick auf die deutsche Ratspräsidentschaft im Jahr 2020, das Wichtigste seien dafür "Dynamik und ein großer Anspruch". Gemessen daran sei Deutschland "vorbildlich". Wer die aktuelle Kritik an der großen Koalition kennt, konnte das wahlweise als gönnerhafte Unterstützung oder kleine giftige Spitze gegen die Kanzlerin lesen.

Ansonsten freilich waren beide bemüht, die wichtigsten Aufgaben Europas zu skizzieren - und mögliche Konflikte allenfalls "als Gesprächsthema" anzusprechen. In der Debatte um eine Beteiligung des chinesischen Netzwerkausrüsters Huawei am Auf- und Ausbau des 5G-Netzes betonte Merkel, anders als die USA wolle Berlin keinen Anbieter namentlich ausschließen. Fest zugesagt sei aber, dass die Sicherheitsanforderungen für alle interessierten Anbieter "deutlich verschärft" würden. Von der Leyen fügte hinzu, die Kommission frage derzeit alle Mitgliedstaaten nach dem Stand ab. Entsprechend werde man in wenigen Wochen "ein gemeinsames Bild haben und dann gemeinsam eine Strategie entwickeln, wie wir mit Chancen und Risiken umgehen".

Auch das heikle Thema mittelfristige Finanzplanung wurde nur gestreift. Merkel sagte, man habe noch ein Stück Weg vor sich, dementierte aber nicht, dass für Berlin ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Beitrag völlig ausreicht. Für von der Leyen ist hier "noch eine Strecke zu machen". Am wichtigsten sei die Finanzierung des großen Themas Modernisierung, etwa von Wissenschaft oder Digitalisierung. Dafür "braucht es eine angemessene Ausstattung", sagte sie. Am Freitagabend skizzierte die künftige Kommissionspräsidentin in einer "Europa-Rede" am Brandenburger Tor die Zukunft der Gemeinschaft. Von der Leyen betonte dabei die Verdienste der USA, Großbritanniens und Frankreichs um die deutsche Einheit. "Ganz explizit" bezog sie die Nato "in diesen Dank für Jahrzehnte in Freiheit und Sicherheit" ein, denn die Nato habe sich "bei allen Holprigkeiten" hervorragend als Schutzschirm der Freiheit bewährt. Mit Blick auf die globalen Entwicklungen mahnte von der Leyen, die Europäer könnten sich nicht mehr darauf verlassen, dass aus ihrer kulturellen Anziehungskraft politischer Einfluss erwachse. "Europa muss auch die Sprache der Macht lernen", sagte sie und zitierte damit Josep Borrell, den nächsten EU-Außenbeauftragten. Dies heiße, "eigene Muskeln aufzubauen, wo wir uns lange auf andere stützen konnten - etwa in der Sicherheitspolitik". Auch müsse Europa mit Blick auf seine äußeren Interessen strategischer werden. So brauche der Westbalkan eine europäische Perspektive. Frankreich hatte zuletzt die Eröffnung der Gespräche über den EU-Beitritt von Albanien und Nordmazedonien blockiert. Diese Verhandlungen sollten laut von der Leyen beginnen. Wenn Europa den Westbalkan im Stich lasse, würden andere in diese Lücke stoßen. Direkt vor Ursula von der Leyen hatte auch Bundeskanzlerin Merkel eine kurze Rede gehalten. Als "ein bisschen rumpelig" bezeichnete sie die Bildung der neuen EU-Kommission. Ihrer Ex-Ministerin wünschte Merkel "von Herzen viel Erfolg" und kündigte etwas an, was von der Leyen helfen könnte, ihre Ziele im Brüssel umzusetzen: "Ich werde versuchen, etwas Kompromissbereitschaft mitzubringen, wenn wir uns beim Europäischen Rat treffen."

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SZ vom 09.11.2019
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