Süddeutsche Zeitung

EU-Kommission:Juncker rüffelt von der Leyen

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Von Thomas Kirchner

Die designierte Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, hat ein erstes Problem am Hals. Ihr Vorgänger, Noch-Amtschef Jean-Claude Juncker, übte in einem Interview recht unverhohlen Kritik an der deutschen Christdemokratin. Konkret geht es um den Aufgabenzuschnitt für Margaritis Schinas, der bis Juli Junckers Sprecher war und künftig als einer von Vizepräsident der Kommission dafür zuständig, in seinem Ressort den "European Way of Life" zu schützen - unter diesem Titel werden Themen wie Arbeitsmarkt, Bildung und Sicherheit, aber auch Migration gefasst.

Die Benennung müsse geändert werden, wird Juncker von der Website Euronews zitiert. Weiter sagt er: "Ich mag die Vorstellung nicht, dass die europäische Lebensweise der Migration entgegengesetzt ist. Die Akzeptanz von Menschen, die aus der Ferne kommen, ist Teil der europäischen Lebensweise." Laut Euronews regt Juncker an, Schinas' Portfolio zu präzisieren.

Schinas' Aufgabenbeschreibung war in Brüssel auf massive Kritik gestoßen. Weil der Grieche sich vor allem um eine Reform der Asylpolitik kümmern soll, sehen manche im "Schutz der europäischen Lebensweise" eine ungebührliche Abgrenzung gegen Migranten und alles Außereuropäische. "Protecting our European Way of Life" kann nicht ernsthaft ein Portfolio-Titel in einer modernen Europäischen Kommission von 2019 sein", schrieb der einflussreiche britische Europaabgeordnete Claude Moraes (Labour) auf Twitter und fügte hinzu: "Im Ernst. Irgendeine Idee, wie das rüberkommt?"

Die Umweltschutz-Organisation Friends of the Earth erklärte, die Idee, dass Europa vor externen Kulturen geschützt werden müsse, sei "faschistisches Denken". Massive Kritik kam auch von mehreren grünen Abgeordneten. Abgeordnete erklärten, von der Leyen übernehme damit die Sprache von Rechtspopulisten, die suggerierten, dass die europäische Zivilisation durch die Ankunft Fremder bedroht werde. Der Name für das Portfolio sei "beängstigend", sagte die grüne Fraktionschefin Ska Keller. Von der Leyen solle die Formulierung überdenken, forderte auch die niederländische Liberale Sophie in't Veld. Der Brite Moraes und andere kündigten an, der designierten Präsidentin einen Brief dazu schreiben zu wollen.

Tatsächlich hatte von der Leyen die Formulierung schon im Juli in ihren politischen Leitlinien für die neue Kommission verwendet. Brisanz hat sie aber erst erhalten, als sie nun mit dem Posten des für Migration zuständigen Kommissars verbunden wurde. Während es am Mittwochabend in Brüssel noch geheißen hatte, von der Leyen erwäge, die blumige Bezeichnung fallenzulassen, sagte eine Kommissionssprecherin am Donnerstagmittag, es gebe keine Veränderung mitzuteilen.

"Schützen, was Europa ausmacht", heißt es in der deutschen Fassung

Allerdings säßen die Kommissare gerade in einer Klausur zusammen, bei der auch über die Strukturen der künftigen Kommission sowie über "Portfolios" geredet werde. Man verfolge die "lebhafte Debatte". Doch "im Moment gibt es sicher keine schnelle Entscheidung". Die Sprecherin verwies auf die bevorstehenden Anhörungen zu jedem einzelnen Kommissar, sie böten die Chance, "über all dies noch einmal zu reden". Sie ergänzte, Juncker habe nicht von der Leyen kritisiert, sondern lediglich die Art und Weise, wie der umstrittene Begriff von manchen interpretiert werde.

Schon zuvor hatte die Sprecherin von einem "fundamental falschen Verständnis" von Schinas' Job gesprochen. Es gehe darin um einen "breiten politischen Ansatz", der europäische Werte, die Demokratie, Asylfragen, die Dublin-Reform und die Bekämpfung von grenzüberschreitendem Terrorismus einschließe.

In den politischen Leitlinien von der Leyens kommt der Begriff nur in der englischen Version vor, wo ein Kapitel mit "Protecting our European Way of Life" überschrieben ist. In der deutschen Fassung heißt das: "Schützen, was Europa ausmacht". Als Schlüsselpunkte werden aufgeführt: "Wahrung der Rechtsstaatlichkeit", "starke Grenzen und ein Neuanfang in der Migrationspolitik" sowie "innere Sicherheit". Unter anderem schlägt von der Leyen einen "neuen Pakt zur Migrationsfrage" vor, der stärkere Außengrenzen und ein modernisiertes Asylsystem umfasst.

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