Verteidigung:Europas revolutionäres Sicherheitsbündnis
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Die Briten verlassen die EU, auf die Amerikaner ist womöglich kein Verlass mehr: Zeit für konkretere Pläne, wo Europa hin will. Ein Diskussionspapier entwirft Szenarien für eine "Verteidigungsunion".
Von Daniel Brössler, Brüssel
Die Krise schwelt schon eine ganze Weile, nun hat sie sich bedrohlich zugespitzt. In Brüssel kommen Militärplaner zusammen, um Optionen zu wägen. Grünes Licht von der Politik haben sie bereits. Das Lagebild von vor Ort halten die Kommandeure dank eigener Aufklärungsmittel, darunter Drohnen, für verlässlich. Schließlich kommt der Befehl. Irgendwo in Afrika starten europäische Spezialeinheiten ihren Anti-Terror-Einsatz.
Die Geschichte ist fiktiv. Sie spielt in der Zukunft, allerdings nicht in allzu ferner.
Am kommenden Mittwoch beschließt die EU-Kommission ein Diskussionspapier, das von der Zukunft der europäischen Verteidigung handelt. Es entwirft drei Szenarien dafür, wie die Europäische Union im Jahr 2025 militärisch aufgestellt sein könnte. Eines der Szenarien geht sehr weit. So weit, dass die Geschichte vom Anti-terror-Einsatz in Afrika Wirklichkeit werden könnte.
Das Papier ist Teil einer von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ins Werk gesetzten Übung zur Selbstfindung der EU. Die Union soll entscheiden, wo sie hinwill. Es geht da um die Zukunft des Euro, der Finanzen, aber eben auch darum, ob die EU sich ein Feld erschließt, auf dem sie bisher kaum eine Rolle spielen konnte, sollte und wollte. Schon seit geraumer Zeit reift die Überzeugung, dass das so nicht weitergeht. Der Ausspruch von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, "ein Stück vorbei" seien, fasste dieses Gefühl zusammen. Seit Monaten wird an verstärkter Militärkooperation und einem Mini-Hauptquartier der EU gebastelt. In Brüssel gilt schon das als revolutionär, weil es bis zum Brexit-Votum von den Briten immer verhindert worden war.
Entwickelt sich die EU zu einem Verteidigungsbündnis?
Das Diskussionspapier geht aber deutlich weiter. Manches darin käme tatsächlich einer sicherheitspolitischen Revolution gleich. "Die Zeiten, in denen die Europäer sich ausschließlich um weiche Sicherheit gekümmert und sich nur auf den harten transatlantischen Schirm verlassen haben, sind vorbei", heißt es im Entwurf. Und genau darum geht es im Kern: Entwickelt sich die EU zu einem Verteidigungsbündnis, das die Nato ergänzen würde? Die EU-Kommission bietet mehrere Antworten, in einer Hinsicht aber klingt sie entschieden: "Nur wenn wir eine Sicherheits- und Verteidigungsunion aufbauen, werden unsere Bürger sich wieder sicher fühlen."
Ähnlich wie schon im Weißbuch zur Zukunft der EU im März bedienen sich Juncker und seine Leute eines Kniffs, indem sie Visionäres zusammen mit Bodenständigem zur Auswahl präsentieren. Das soll verhindern, dass die Diskussion gleich in empörten Reaktionen erstickt. So wird im ersten von drei Szenarien nur eine "Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit" ausbuchstabiert, die im Grunde fortschreibt, was ohnehin schon in Arbeit ist. Diese Kooperation würde größtenteils freiwillig bleiben und im Krisenfall ad hoc organisiert. "Die EU würde sich auf relativ kleine zivile und militärische Operationen zum Krisenmanagement beschränken", ist da zu lesen. Beim Thema Sicherheit bliebe sie ein "Nischenanbieter", der Mitgliedstaaten und Nato punktuell unterstützt. Überall, wo die EU und die Nato gemeinsam auftreten, "würde die Nato weiterhin die Hauptlast der harten Verteidigung tragen". Schrittweise würde ein Verteidigungsfonds aufgebaut, die Rüstungsindustrie bliebe aber "hochgradig fragmentiert".
Enger werden soll auch die Zusammenarbeit mit der Nato
Etwas ambitionierter wäre das zweite Szenario, das mehr Aufgabenteilung bei Sicherheit und Verteidigung postuliert. Das würde eine "deutlich größere Solidarität" bei Finanzierung und Durchführung von Operationen erfordern. So soll die EU auch ihre "Fähigkeit verbessern, Europa an der Schnittstelle zwischen innerer und äußerer Sicherheit zu verteidigen" - gegen terroristische Bedrohungen etwa oder Cyberangriffe. Enger werden soll dadurch auch die Zusammenarbeit mit der Nato, etwa bei koordinierten Überwachungsmissionen. Vor allem aber würden die EU-Staaten in diesem Szenario ihre Militärplanungen viel enger abstimmen, große Rüstungsprojekte mithilfe eines "ambitionierten" Verteidigungsfonds gemeinsam angehen sowie gemeinsame Planungs- und Kommandostrukturen aufbauen.
Wirklich in sich hat es das dritte Szenario mit dem Titel "Gemeinsame Verteidigung und Sicherheit". Da ist von der Durchsetzung von No-fly-Zonen die Rede und auch von Marine-Operationen "in feindlichen Gewässern. Vergeltungsmaßnahmen bei Cyberangriffen werden erwogen und eine stärkere Integration der Streitkräfte der EU-Staaten einschließlich regelmäßiger Übungen. Der europäische Grenz- und Küstenschutz könnte auf Schiffe im ständigen EU-Einsatz zurückgreifen und auf eigene Aufklärungstechnik wie etwa Drohnen. "Die EU wäre in der Lage", lautet die Vision, "High-end-Operationen durchzuführen, um Europa besser zu verteidigen." Auch ein Europäischer Zivilschutz für den Katastrophenfall würde eingerichtet.
Die EU würde zusätzlich liefern, wofür bisher allein die Nato zuständig ist: Abschreckung. Das eher theoretische Hilfeversprechen in Artikel 42 des EU-Vertrages würde mit Leben erfüllt, Nato und EU würden sich in ihrer Verantwortung für die Verteidigung Europas "gegenseitig ergänzen". Um diese Stelle gab es am meisten Streit, weshalb noch eingefügt wurde, dies geschehe "in vollem Respekt" vor den Verpflichtungen der Nato-Mitglieder im Bündnis. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini wollte den Eindruck vermeiden, die EU plane, der Nato ernsthaft Konkurrenz zu machen. So weit gehen die Ambitionen dann doch nicht.