Süddeutsche Zeitung

US-Wahl:Biden geht in die Offensive

Lesezeit: 4 min

Der demokratische Kandidat skizziert, was es für das Land bedeuten könnte, wenn er zum Präsidenten gewählt würde. Dem linken Parteiflügel kommt er entgegen. Wohl aus Kalkül.

Von Christian Zaschke, New York

Dass der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden in nahezu sämtlichen Umfragen vor Amtsinhaber Donald Trump liegt, hatte bisher wenig bis nichts damit zu tun, dass er ein Programm vorgelegt hätte. Es lag vielmehr daran, dass offenbar eine beträchtliche Zahl von Wählern will, dass im kommenden Jahr jemand im Weißen Haus sitzt, der nicht Trump ist.

Daher schien es eine durchaus plausible Strategie von Bidens Team zu sein, erst einmal gar nichts zu tun und darauf zu vertrauen, dass der Präsident sich selbst demontiert. Doch nun, da die Wahl im November näher rückt, geht Biden allmählich in die Offensive. In zwei mittellangen Reden hat er skizziert, was es für das Land bedeuten könnte, wenn er zum Präsidenten gewählt würde.

"Buy American"

Bemerkenswert ist dabei, dass er sich auf die Wirtschaft konzentriert hat. Wirtschaftliche Kompetenz ist der einzige Punkt, in dem Trump in den Umfragen immer noch besser abschneidet. Biden hat sich deshalb in einem relativ dreisten Manöver in Trumps Phrasen-Baukasten bedient: "Buy American" werde eine seiner Prioritäten sein, sagte er, also den Verkauf amerikanischer Produkte zu fördern. Trump hatte nach seiner Wahl im Jahr 2016 exakt diese Worte benutzt, um den Schwerpunkt seiner anstehenden Präsidentschaft zu beschreiben.

Erstaunlicherweise hat Trump auf diesen Diebstahl nicht explizit reagiert. Er beschimpfte Biden in dieser Woche in einer mäandernden und teils erstaunlich zusammenhanglosen Einlassung im Rose Garden des Weißen Hauses als Radikalen und Extremisten, aber dass Bidens Team ihm seinen eigenen Slogan entwendet hatte, schien er gar nicht bemerkt zu haben.

Biden ist alles andere als radikal oder extrem. Exakt aus diesem Grunde steht ihm der progressive Flügel seiner Partei skeptisch gegenüber. Dieser sehnt sich nach jemandem, der viel weiter links steht, nach dem Senator Bernie Sanders zum Beispiel. Die amerikanischen Demokraten sind eine vielfältige Partei. Übertragen auf deutsche Verhältnisse, findet sich unter ihrem Dach alles von der Linken bis zum moderaten Flügel der CDU. In diesem Spektrum stand der 77 Jahre alte Biden Zeit seines Lebens am rechten Rand. Wenn die sehr linke New Yorker Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez sagte, in einem anderen Land wären Biden und sie nicht in derselben Partei, dann stimmte das. Zumindest bis zu dieser Woche.

Am Dienstag hat Biden in einer Rede in Wilmington, Delaware, unweit seines Wohnorts einen Plan vorgestellt, der besagt, dass er in seiner Präsidentschaft innerhalb von vier Jahren zwei Billionen Dollar ausgeben will, um in saubere Energien zu investieren und den Klimawandel anzugehen. Ausdrücklich sprach er davon, dass die USA Weltmarktführer beim Bau von Elektroautos sein sollten. Er will die Kohlendioxidemissionen bis 2035 auf Null bringen. Ihm schwebt das größte Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg vor, um einerseits die Wirtschaft nach der Corona-Krise wieder in Gang zu bringen und andererseits die USA in eine sauberere Zukunft zu führen.

Bezahlen will er das unter anderem dadurch, dass er Trumps Steuererleichterungen für die Reichen rückgängig macht und die Einkommenssteuer für Unternehmen von 21 auf 28 Prozent hebt. Weiter ist noch kein Demokrat dem progressiven Flügel der Partei entgegengekommen.

Bidens Klimarede war der zweite von vier programmatischen Auftritten, die er vor dem Parteitag der Demokraten im August geplant hat. Bereits in der vergangenen Woche hatte er in Pennsylvania dargelegt, dass er als Präsident für die amerikanischen Arbeiter da sein wolle und nicht für die Aktienmärkte. Auch diese Rede war dazu gedacht, den linken Flügel seiner Partei für sich einzunehmen.

Ein Gedanke hinter dieser Strategie dürfte sein, dass Hillary Clinton vor vier Jahren diesen Flügel weitgehend ignoriert hatte, weshalb viele Demokraten nicht zur Wahl gingen. Mit dem Ergebnis, dass Donald Trump Präsident wurde, weil er in den Swing States im Mittleren Westen einige Zehntausend Stimmen mehr errang als Clinton. Bidens Team setzt offenkundig nicht darauf, wankelmütige Trump-Wähler zu überzeugen, sondern darauf, möglichst viele Demokraten zu aktivieren.

Manchmal schien er die Worte abzulesen, ohne zu wissen, was er da gerade sagte

Inhaltlich waren es die überzeugendsten Auftritte Bidens, seit klar ist, dass er Trump im November herausfordern wird. Die Art der Präsentation warf jedoch eine altbekannte Frage auf: Wie fit ist Biden? Beim Amtsantritt wäre er 78 Jahre alt und damit der älteste Präsident in der Geschichte der USA. Er las seine Reden vom Teleprompter ab und hielt sich streng an den vorformulierten Text. Dennoch wirkte er bisweilen fahrig. Er räusperte sich auffallend oft, manchmal schien er die Worte abzulesen, ohne zu wissen, was er da gerade sagte. Dann wieder wirkte er wach, konzentriert, kämpferisch.

Aus diesem Grunde ist nicht nur unter den Demokraten die Frage von höchstem Interesse, wen er als Vizepräsidentin nominiert. Dass es eine Frau wird, hat er bereits gesagt. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass er eine Afro-Amerikanerin wählt. Die besten Chancen werden der kalifornischen Senatorin Kamala Harris eingeräumt, aussichtsreich im Rennen liegen zudem Keisha Lance Bottoms, die Bürgermeisterin von Atlanta, Val Demings, Abgeordnete aus Florida und ehemals Polizeichefin von Orlando, sowie Susan Rice, vormals Sicherheitsberaterin von Trumps Vorgänger Barack Obama. Im engeren Kreis sind zudem Elizabeth Warren, Senatorin aus Massachusetts, und Michelle Lujan Grisham, die hispanische Gouverneurin von New Mexico.

Man tritt Biden nicht zu nahe, wenn man sagt, dass er nicht mehr ganz auf der Höhe seines Schaffens ist. Sollte er im November gewählt werden, käme seiner Vizepräsidentin daher enorme Bedeutung zu. Zudem wäre sie die logische Kandidatin der Demokraten im Jahr 2024. Denn dass Biden ein zweites Mal anträte, gilt als ausgeschlossen.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2020
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