Süddeutsche Zeitung

Ungarn:Budapest triumphiert

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Die Regierung Orbán gibt sich sicher, den angedrohten Entzug von 7,5 Milliarden Euro an EU-Fördergeld abwenden zu können. In Brüssel ist man skeptischer.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Als die EU-Kommission am Sonntag ihren Vorschlag präsentierte, Zahlungen in Höhe von etwa 7,5 Milliarden Euro zurückzuhalten, um Ungarn zur Stärkung seines Rechtsstaats zu bewegen, war man in Budapest - je nach politischem Lager - sehr gut vorbereitet gewesen auf diese Ankündigung. Oppositionsmedien hatten schon Tage zuvor berichtet, dass die Einlassungen der Kommission kritisch ausfallen würden und dass der Rechtsstaatsmechanismus erstmals tatsächlich dazu genutzt werde, echten Druck auf ein Mitgliedsland auszuüben. Die Initiativen, die Budapest im Vorfeld der Entscheidung von Brüssel präsentiert habe, würden dort auf Skepsis stoßen, nach dem Motto: nicht genug, nicht gut genug.

Regierungsnahe Medien hingegen hatten einen eindeutigen Erfolg der Budapester Regierung bejubelt, lange bevor EU-Kommissar Johannes Hahn überhaupt bekannt gab, dass die Mängel bei Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung zur Blockade eines Teils der Ungarn bis 2027 theoretisch zustehenden EU-Fördergelder führen könnten. Die Interpretation staatsnaher Organe vorab klang so: Die Reformvorschläge, welche die Regierung von Viktor Orbán in Brüssel in den vergangenen Wochen vorgelegt habe, hätten die Kommission überzeugt, die Auszahlung des Geldes sei quasi gesichert. Parallel war Justizministerin Judit Varga nach zahlreichen Visiten in Brüssel noch in mehrere europäische Hauptstädte gereist, um dort zu betonen, man habe erfolgreich verhandelt.

In eben diese Kerbe schlugen dann auch Staatssekretär und Regierungssprecher Zoltán Kovács und der in Budapest für die Verhandlungen mit der EU zuständige Entwicklungsminister Tibor Navracsics: Die EU-Kommission habe die ungarischen Vorschläge zur Korruptionsbekämpfung akzeptiert; es sei nun zu hundert Prozent sicher, dass die Regierung ihre entsprechenden Verpflichtungen erfüllen werde. Die Entscheidung von Brüssel sei "ein Schritt nach vorn". Die regierungsnahe Zeitung Magyar Nemzet kommentierte zufrieden: Vermutlich sei dies eine "große Enttäuschung für die linksliberale Seite", weil sie ihr Endziel nicht erreicht habe. "Ungarn hat gestern die Schlacht gewonnen, die Arbeit geht weiter!"

Zwei Monate Zeit für die Umsetzung

So eindeutig ist die Lage allerdings nicht. Die EU-Kommission hatte nämlich wissen lassen, dass man durchaus skeptisch sei, ob Budapest die angekündigten Reformen auch tatsächlich effektiv und ernsthaft umsetzen werde. Dazu gehören die Einrichtung einer unabhängigen Stelle zur Korruptionsbekämpfung, die breitere Ausschreibung von Staatsaufträgen, eine stärkere Kontrolle von Stiftungen, in denen Staatsvermögen gemanagt wird, sowie eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft am Reformprozess.

Péter Krekó, Leiter des Budapester Thinktanks Political Capital, sagte der Nachrichtenagentur AP, Brüssel lerne langsam - aber es lerne. Auch in der EU habe man mittlerweile verstanden, mit welchen manipulativen Mitteln die ungarische Regierung bei Verhandlungen Kompromisswillen vortäusche, und wie das politische System von Viktor Orbán funktioniere. Es sei richtig, dass die Kommission ihre Gangart verschärfe, nachdem bisherige Maßnahmen nichts bewirkt hätten.

Ungarn hat jetzt bis zum 19. November Zeit, um die angekündigten Schritte umzusetzen; danach beschließen die EU-Mitgliedsländer mit qualifizierter Mehrheit, ob das Vorgehen in Budapest glaubwürdig und ausreichend ist, um doch auf eine Kürzung der Fördergelder zu verzichten.

In den kommenden Tagen soll das ungarische Parlament, in dem Fidesz eine Zweidrittelmehrheit hat, nun über jene Gesetze debattieren, die zu mehr Rechtsstaatlichkeit und weniger Korruption im Land führen sollen. Bis Freitag sollen sie beschlossen sein. In Brüssel wird diese Entwicklung positiv gesehen; Ungarn müsse sich nun endlich bewegen.

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