Süddeutsche Zeitung

Ungarn:EU nimmt Kampf mit Viktor Orbán auf

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Kurz nach dem erneuten Wahlsieg des Rechtspopulisten setzt die EU-Kommission den neuen Rechtsstaatsmechanismus in Gang. Der kann mit dem Entzug von Haushaltsmitteln enden.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Die vielen Krisen, die Ursula von der Leyen zu bewältigen hat, scheinen sich auch gesundheitlich niederzuschlagen. Jedenfalls bewältigte die EU-Kommissionspräsidentin am Dienstagnachmittag die Fragestunde im Europaparlament im Stehen. Sitzen tue ihr weh, sagte sie. Laut Tagesordnung ging es um die Bilanz ihrer ersten beiden Jahre im Amt, aber natürlich wusste sie, dass vor allem eine Frage brisant sein würde: Wie steht sie zum Wahlsieg von Viktor Orbán am Sonntag, der sich, so der allgemeine Eindruck, den ungarischen Staat untertan macht? Sie hatte eine spektakuläre Botschaft vorbereitet.

Die Regeln des Parlaments begrenzen die Zeit für Fragen und Antworten, und deshalb kam die Kommissionspräsidentin im ersten Anlauf noch nicht ans Ziel, als sie nach dem Zustand der Rechtsstaatlichkeit in den Staaten der Europäischen Union gefragt wurde. Ja, sagte sie, es gebe Probleme, vor allem in Polen und Ungarn.

In Polen sei die Unabhängigkeit der Justiz die "große offene Frage", und die EU-Institutionen seien nicht untätig. Sie verwies darauf, dass im Rat ein Artikel-7-Verfahren laufe. Es könnte mit dem Ausschluss Polens enden, was aber keine realistische Option ist. Sie verwies auf diverse Vertragsverletzungsverfahren gegen die polnische Regierung von Mateusz Morawiecki und vor allem auf die 24 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds, die immer noch nicht ausbezahlt sind. Sie sind an Justizreformen geknüpft. Dieses Vorgehen sei kein klassisches Mittel, um Reformen in den Mitgliedsländern zu erzwingen, sagte von der Leyen. Aber es ist offenbar derzeit das bevorzugte Mittel der Kommission.

Was Ungarn betrifft: Das Problem sei ganz klar die Korruption, sagte von der Leyen. Es laufen auch hier Artikel-7-Verfahren, Vertragsverletzungsverfahren, es werden auch hier die Mittel aus dem Corona-Topf zurückgehalten, sieben Milliarden Euro. Darüber hinaus ... an dieser Stelle war ihre Redezeit zu Ende, und sie musste einige Zeit auf die nächste Frage warten, um ihre Botschaft endlich loszuwerden: An diesem Dienstag habe die Kommission den Rechtsstaatsmechanismus in Gang gesetzt, der nach einem monatelangen, komplizierten Verfahren mit dem Entzug von Haushaltsmitteln enden kann. Die ungarische Regierung sei von dem zuständigen Kommissar Johannes Hahn informiert worden. Es ist das erste Mal, dass das Disziplinarverfahren angewandt wird.

Polen bemüht sich um einen Kompromiss - Ungarn nicht

An dieser Stelle erhielt die Kommissionspräsidentin zum ersten Mal Beifall, zumindest spärlichen. Es ist ihr immer wieder vorgeworfen worden, zu zögerlich zu sein im Streit mit Polen und Ungarn. Das Parlament hat sie sogar wegen Untätigkeit verklagt.

Der Rechtsstaatsmechanismus steht seit 2021 zur Verfügung, aber von der Leyen hielt sich an die Abmachung der Staats- und Regierungschefs, ihn erst in Gang zu setzen, nachdem der Europäische Gerichtshof über eine Klage von Ungarn und Polen entschieden hat. Das Urteil, dass der Mechanismus mit EU-Recht vereinbar ist, kam im Februar, doch die Kommission wollte offenbar die Wahlen in Ungarn abwarten. Viktor Orbán sollte keinen zusätzlichen Stoff haben, um im Wahlkampf gegen die EU zu polemisieren.

Es sei durch das Zögern kein Fall verloren gegangen, sagte von der Leyen nun, also auch nicht jener gegen Polen. Jedoch gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Kommission auch hier den Rechtsstaatsmechanismus anwendet. Im Gegenteil, es gibt intensive Gespräche darüber, wie der Streit um das Geld aus dem Corona-Topf beigelegt werden könnte.

Anders als Viktor Orbán, der zuletzt keinerlei Kontakt zur Kommission hielt, bemüht sich die polnische Regierung seit Wochen um einen Kompromiss. Es gibt offenbar auch Druck von anderen EU-Staaten, mit den Polen zu einem solchen zu kommen. Am kommenden Samstag wird von der Leyen nach Polen reisen.

Wird bei der Gelegenheit, so eine Frage an Ursula von der Leyen, die Einigung verkündet? Keinesfalls, erwiderte sie. Man sei nahe an einer Lösung mit der polnischen Regierung, aber noch nicht am Ziel. Sie reise nach Polen, um Spenden zu sammeln für die ukrainischen Flüchtlinge.

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