Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Mysteriöse Todesserie im Umfeld von Janukowitsch

Lesezeit: 3 min

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Viktor Janukowitsch hatte zwei Söhne. Einem der beiden, Olexandr, haben die Ukrainer den Spitznamen "Sascha Stomatolog" verpasst: Sascha, der Zahnarzt. Der Mediziner machte vor der Maidan-Revolution eine steile Karriere: Er wurde innerhalb weniger Jahre einer der reichsten Männer des Landes. Olexandr steht, wie sein Vater, auf der Sanktionsliste der EU, seine Auslandskonten sind gesperrt, Ermittlungen wegen Geldwäsche laufen. Olexandr Janukowitsch, der im Exil in Russland lebt, aber immer noch Vermögen und Firmen in der Ukraine hat, ist zweifellos ein vielgehasster Mann.

Aber da war auch der andere, der jüngere Sohn, der wie der ukrainische Ex-Präsident Viktor hieß. Der 33-Jährige ertrank am vergangenen Wochenende im Baikalsee. Viktor Janukowitsch junior war zwar, wie sein Vater und sein Bruder, Mitglied in der nun aufgelösten Partei der Regionen, sogar Abgeordneter war er eine Zeit lang. Er galt aber immer als unpolitisch. Als einer, der sich vorwiegend für Sport und Autos interessierte. Dazu passt auch sein Tod: Auf dem zugefrorenen sibirischen See brach ein VW-Bus im Eis ein, den Janukowitsch lenkte. Er starb, fünf weitere Insassen konnten gerettet werden.

Spekulationen und Verschwörungstheorien

Seither schießen Spekulationen und Verschwörungstheorien ins Kraut: Der junge Mann soll angeschnallt gewesen sein. Aber, so ein ukrainischer Politikbeobachter: "Sich auf dem Eis anzuschnallen, das ist verrückt. Autofan Viktor wusste das natürlich auch."

Zudem meldet der russische TV-Sender Lifenews, der Junior sei auffällig schnell nach seinem Ertrinkungstod mit einer Chartermaschine aus Irkutsk via Ufa auf die Krim gebracht und umgehend beigesetzt worden. War sein Tod kein Unglück? Sollte etwas vertuscht werden? Und wenn ja, warum er - und nicht sein skrupelloser Bruder? Verwirrung gibt es auch darüber, dass der Tote womöglich Papiere auf den Namen Davidow bei sich trug. Aus Russland habe man dazu unklare Angaben erhalten, zitiert die Zeitung Serkalo Nedeli einen Sprecher des ukrainischen Innenministeriums.

Widersprüchliche Informationen

Auch zum Todestag habe es widersprüchliche Informationen gegeben. Der Fall passt gut in die rätselhafte Todesserie, die in den vergangenen Monaten Mitglieder des Janukowitsch-Clans und einflussreiche Politiker der Partei der Regionen ereilte und die derzeit das ganze Land in Atem hält.

Hintergrund könnten die Ermittlungen der ukrainischen Strafverfolgungsbehörden sein. Könnten. Zuletzt war heftige Kritik aufgekommen, weil die Behörden keine Erfolge bei Ermittlungen gegen das frühere Regime vorweisen konnten und einige Akten von Politikern, die auf EU-Sanktionslisten standen, wieder geschlossen wurden.

Nun hat die Justiz neue Anstrengungen angekündigt. Generalstaatsanwalt Viktor Schochin versprach bei seiner Ernennung im Februar vollmundig, man wolle nicht nur umgehend die Hintermänner der Gewalteskalation auf dem Maidan präsentieren, sondern auch verschärft gegen die legendäre "Familie" vorgehen. Gegen all die Männer, die in den vergangenen Monaten offiziell durch Selbstmord zu Tode kamen, ermittelte nach Angaben ukrainischer Medien zuletzt die Staatsanwaltschaft.

Zu viele Tote

Am 29. Januar etwa wurde Alexej Kolesnik in Charkiw tot aufgefunden, er hatte sich erhängt. Der Regionalpolitiker war in die Fußstapfen eines Gouverneurs getreten, der bei der manipulierten Präsidentschaftswahl 2004 den Wahlsieg von Janukowitsch mitorganisiert hatte. Er starb schon 2007 bei einem Jagdunfall.

In Februar dann wurde in der Kleinstadt Melitopol der Bürgermeister, Sergej Valter, erhängt aufgefunden. Anton Geraschtschenko, ein Berater des ukrainischen Innenministeriums, sagte ukrainischen Medien, Valter hätten 14 Jahre Haft gedroht, seine Verurteilung sei "sehr wahrscheinlich gewesen".

Tags darauf starb der Polizeichef der Stadt, er soll sich erschossen haben. Am 28. Februar stürzte der prominente Ex-Fraktionschef der Partei der Regionen, Nikolai Tschtschtow, aus einem Fenster. Tschtschtow trug in Kiew den Spitznamen "der Dirigent", weil er in der Werchowna Rada die Abstimmungen seiner Partei organisierte. Er galt als Profiteur der Privatisierungen. Laut Berater Geraschtschenko sah er einer Verurteilung wegen der "Diktatur-Gesetze" vom vergangenen Januar entgegen.

Im Oppositionsblock macht sich Unruhe breit

Am 9. März wurde ein enger Vertrauter des Ex-Präsidenten, Stanislaw Melnyk, erschossen aufgefunden, drei Tage später der frühere Gouverneur von Saporischijia, Olexandr Pekluschenko. Diesen Tod erklärt der Berater des Innenministeriums damit, dass Pekluschenko eine Haftstrafe gedroht habe, weil er während des Maidan Schlägertruppen angeheuert habe, die auf Demonstranten losgingen.

Nach Angaben der ukrainischen Justizbehörden gibt es keinen Hinweis darauf, dass es sich bei einem der Todesfälle um Mord handeln könnte. Beim Oppositionsblock hingegen, der neu zusammengewürfelten Nachfolgepartei der Partei der Regionen, macht sich Unruhe breit, es werden Vorwürfe laut. Der Guardian zitiert Parlamentarier der Partei: Alle, gegen die Ermittlungen liefen, hätten Angst. Von Regierungsseite werde unerträglicher Druck aufgebaut, Fälle wurden zusammengeschustert, um Rache zu nehmen, das Vorgehen erinnere an die Schauprozesse der Dreißigerjahre.

Aber auch die Gegenseite spekuliert darüber, dass hier "nachgeholfen" werde: Von einer "Säuberungsaktion" in der Partei der Regionen ist die Rede und davon, dass das erst der Anfang sei. Russische und ukrainische Geheimdienste werden verdächtigt, hinter der Todesserie zu stehen. Nur eines ist derzeit einigermaßen sicher: Viktor Janukowitsch junior wurde in Sewastopol beigesetzt. Hier lebe die Mutter, so könne sie täglich das Grab besuchen. Das bestätigte der große Bruder, Olexandr.

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SZ vom 25.03.2015
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