Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Angriff auf russischen Hafen

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Die Ukraine hat den russischen Hafen Noworossijsk mit Drohnen angegriffen, dabei wurde ein russisches Marineschiff beschädigt. Das Land setzt im David-gegen-Goliath-Kampf vermehrt auf eine hochentwickelte Drohnenproduktion.

Von Florian Hassel, Belgrad

Vom ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa, dem Hauptstützpunkt der ukrainischen Streitkräfte im Süden der Ukraine, sind es auf dem Seeweg rund 700 Kilometer bis zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk: Was immer die ukrainische Marine auch auf die Reise schickt, muss die von Moskau besetzte Halbinsel Krim umfahren - und intensiver Beobachtung durch russische Kriegsschiffe, Radar und andere Überwachungssysteme ausweichen.

Dass die Ukraine dazu in der Lage ist, bewies sie schon am 17. Juli: Da griffen zwei neuentwickelte, jeweils mit mehreren Hundert Kilo Sprengstoff beladene Seedrohnen der Ukrainer die Brücke von Kertsch an, die die Krim mit Russland verbindet. Die Explosionen zerstörten einen Teil der Fahrbahn - und belegten, dass die Ukrainer ihre Reichweite auch auf dem Meer seit Beginn des russischen Überfalls erheblich erweitert haben.

In der Nacht zum Freitag schlugen die Ukrainer wieder zu, diesmal südöstlich der Kertsch-Meeresenge im russischen Hafen Noworossijsk. Dort sprengte eine ukrainische Drohne ein so großes Loch in die Seite des russischen Landungsschiffes Olenegorskij Gornjak, dass dieses mit schwerer Schlagseite im Wasser hing und am Freitag als halbes Wrack in den Hafen geschleppt wurde.

Das Schiff ist ein Landungsschiff, das selbst Kampfpanzer absetzen kann

In Kiew übergab der Geheimdienst SBU, der gemeinsam mit der ukrainischen Marine schon für den Angriff auf die Kertsch-Brücke verantwortlich zeichnete, ein Video des Drohnenangriffes auf die Olenegorskj Gornjak ukrainischen Medien. In Moskau und Noworossijsk bestätigten das Verteidigungsministerium und der Bürgermeister von Noworossijsk einen ukrainischen Angriff, behaupteten aber, wegen der schnellen Reaktion der Besatzungen der Olenegorskij Gornjak und eines weiteren Schiffes, der Suworowez, sei es gelungen, jedwede "Folgen des Angriffes zu vermeiden", so etwa Bürgermeister Andrej Krawtschenko.

Einwohner von Noworossijsk aber filmten schon in der Nacht Explosionen und ein offenbar brennendes Schiff. Am Freitag zeigte der unabhängige russische Telegram-Kanal Astra, wie russische Schlepper die mit schwerer Schlagseite links im Wasser liegende Olenegorskij Gornjak langsam in den Hafen schleppten. Auch russische Exilmedien und russische Blogger zeigten Bilder des schwer beschädigten Schiffes.

Die Olenegorskij Gornjak wurde 1975 noch zu Zeiten des Warschauer Paktes auf einer Danziger Werft gebaut, später gehörte sie zur russischen Nordmeerflotte. Das 112 Meter lange Schiff ist ein Landungsschiff, das selbst Kampfpanzer und mehrere Hundert Marineinfanteristen an einer Küste absetzen kann. Im Februar 2022 wurde das Schiff wie fünf andere russische Landungsschiffe ins Schwarze Meer verlegt.

Mittlerweile seien mehr als 200 ukrainische Firmen mit Drohnenproduktion beschäftigt

Der Angriff auf die Olenegorskij Gornjak ist nicht der spektakulärste Erfolg der Ukraine im Krieg gegen Moskaus Schwarzmeerflotte. Das war am 14. April 2022 die Versenkung des Flaggschiffes Moskwa - allerdings nicht durch Drohnen, sondern mit zwei Neptun-Raketen. Diese haben indes eine Reichweite von nur 200 Kilometern. Nach der Versenkung der Moskwa verlegte der Kreml etliche Schiffe, auch nach Noworossijsk, in der Hoffnung, außer Reichweite Kiews zu bleiben. Doch diese Hoffnung trog.

Nicht nur am Himmel tobt der Drohnenkrieg zwischen Russland und der Ukraine. Kiew zeigt vor allem seit Anfang 2023 immer weiter reichende Angriffe mit sprengstoffbestückten Drohnen im Krieg gegen das an Luftwaffe und Artillerie mehrfach überlegene Russland. Der Washington Post sagte der ukrainische Vizeministerpräsident Mychailo Fedorow kürzlich, es seien mittlerweile mehr als 200 ukrainische Firmen mit Drohnenproduktion beschäftigt. Seit Beginn des Überfalls seien mehr als 10 000 Drohnenlenker ausgebildet worden, die gleiche Zahl solle bis Ende 2023 dazukommen.

Und Drohnen spielen nicht nur im Landkrieg eine wichtige Rolle. Seit Beginn des russischen Überfalls hat die Ukraine bereits zwei Generationen von Seedrohnen entwickelt: bis zu fünfeinhalb Meter lange, mit Kamera und Star Link-Internetverbindung und mit bis zu mehreren Hundert Kilo Sprengstoff beladene, fernsteuerbare Boote von gerade einmal 50 Zentimeter Höhe, die Drohnenexperten zufolge in der neuesten Generation vom Typ Magura V5 eine Geschwindigkeit von bis zu 80 Stundenkilometern und eine Reichweite von mehr als 800 Kilometer haben sollen. Ende Juli präsentierte die ukrainische Marine eine solche Drohne dem US-Fernsehsender CNN.

Die Ukrainer sollen auch an einer Unterwasserdrohne arbeiten

Dem Geheimdienst SBU zufolge soll die beim Angriff auf die Olenegorskij Gornjak eingesetzte Drohne 450 Kilo TNT getragen haben. Ukrainische Drohnen verfehlen freilich auch oft ihr Ziel: So schlugen Experten zufolge Angriffe auf die russischen Spionageschiffen Iwan Churs am 24. Mai und Priasowje am 11. Juni fehl. Russlands Marine setzt nicht nur Maschinengewehre und Geschütze gegen Drohnen ein, sondern auch Störsender, die die Fernsteuerung der Drohnen außer Gefecht setzen.

Die Ukrainer wiederum sind im David-gegen-Goliath-Kampf der ungleichen Marinen bei den nächsten Schritten: Sie arbeiten dem Bericht eines ukrainischen Militärinfodienstes zufolge an der Unterwasserdrohne Toloka T-150, die eine Reichweite von 2000 Kilometern haben und bis zu 5000 Kilo Sprengstoff tragen soll. Andere ukrainische Spezialisten testen bereits Drohnen, die mithilfe künstlicher Intelligenz gesteuert werden und auch bei Ausfall ihrer Fernsteuerung durch russische Störsender noch in der Lage sein sollen, das vorher programmierte Ziel anzusteuern und zu zerstören.

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