Süddeutsche Zeitung

Krieg in der Ukraine:Klare Worte aus Den Haag

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Die Völkermord-Behauptungen seien nicht belegt, Russland müsse sich unverzüglich aus der Ukraine zurückzuziehen, urteilt der Internationale Gerichtshof. Die Mittel, Putin zu zwingen, hat er allerdings nicht.

Von Ronen Steinke, Berlin

Der Internationale Gerichtshof hat am Mittwoch in einem Eilverfahren gegen Russland entschieden. Der Angriff auf die Ukraine sei völkerrechtlich derart "zweifelhaft", dass er bis zu einer endgültigen Klärung unverzüglich gestoppt werden müsse. Auch "irreguläre Kämpfer" der prorussischen Separatisten, auf die Russland Einfluss habe, müssten unverzüglich zurückgerufen und daran gehindert werden, diese Militärkampagne fortzusetzen. Die Präsidentin des Gerichts, die Amerikanerin Joan Donoghue, verkündete die Entscheidung, die mit einer Mehrheit von 13 zu zwei Richtern getroffen wurde, am Sitz des Gerichtshofs in Den Haag.

Damit gaben die Richter einem Antrag der Ukraine statt. Die Ukraine hatte den Gerichtshof angerufen, um klarzustellen, dass die russische Behauptung eines "Völkermords" in der Ukraine falsch sei - und dass dies unter "Missbrauch" der Völkermord-Konvention der Vereinten Nationen (UN) von 1948 behauptet werde, um einen Vorwand für eine Attacke zu schaffen. Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der UN mit Sitz im sogenannten Friedenspalast in Den Haag. Er soll Konflikte zwischen Staaten lösen. Seine Urteile sind bindend, eine Berufung ist nicht möglich. Doch das Gericht besitzt keine Machtmittel, um einen unterlegenen Staat zu zwingen, ein Urteil umzusetzen.

Recht auf Selbstverteidigung? Auch diese Begründung weisen die Richter zurück

Im Urteil heißt es nun: Die russische Behauptung, dass in der Ukraine ein "Völkermord" drohe, sei aus Sicht des Gerichtshofs nicht belegt. Die Präsidentin des Gerichts ging in ihrer Urteilsbegründung darauf ausführlich ein, zitierte Ansprachen wie jene des russischen Präsidenten Wladimir Putin vom 24. Februar im russischen Fernsehen oder auch russische Äußerungen vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, in denen wiederholt von der Gefahr eines Genozids gegen "vier Millionen" Menschen im Osten der Ukraine durch den ukrainischen Staat die Rede war.

Die Völkermord-Konvention gibt jedem Staat das Recht, sich gegen den Vorwurf des Völkermordes zur Wehr zu setzen und eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Wenn über die Auslegung der Konvention Streit herrscht, dann ist nach Artikel 9 der Konvention der Internationale Gerichtshof zuständig. Darauf hatte sich die Ukraine berufen. Russland hingegen hatte in einer fünf Seiten starken schriftlichen Stellungnahme an das Gericht ausgeführt, dass Putin nicht von Völkermord im Sinne der UN-Konvention gesprochen habe, weshalb der Gerichtshof nicht zuständig sei.

Russlands offizielle völkerrechtliche Begründung für den Einmarsch in der Ukraine sei vielmehr das Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta, so hatte Moskau in Den Haag vorgetragen. Zum einen, weil die separatistischen "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine Hilfe gebraucht hätten, zum anderen, weil auch Russland selbst in der Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden ukrainischen Angriffs gewesen sei. Der Gerichtshof wies dies als Rechtfertigung für den, wie es in der Urteilsbegründung heißt, "einseitigen" Angriff auf die Ukraine jedoch zurück. Da dies nur eine vorläufige Entscheidung in einem Eilverfahren ist, wird ein ausführliches juristisches Verfahren noch folgen, dies kann Jahre dauern. Angesichts der sehr ernsten Lage für die betroffenen Menschen müsse aber "sofort" innegehalten werden, sagte die Präsidentin des Gerichtshofs. Russlands Militäreinsatz führe zu unzähligen Toten und Verletzten.

Zu der Urteilsverkündung hatte Russlands Regierung keinen Vertreter geschickt, wie auch schon zu der mündlichen Verhandlung vor wenigen Tagen. Der sehr angesehene französische Anwalt Alain Pellet, der Russland jahrelang in Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof vertreten hatte, hatte in einem offenen Brief geschrieben: Er lege sein Mandat nieder, denn es sei "unmöglich geworden, in einem Forum, das dem Recht gewidmet ist, ein Land zu vertreten, das dieses Recht so zynisch verachtet".

Auf der Richterbank allerdings war auch ein russischer Richter. Von ihm, Kirill Gevorgian, der zugleich Vizepräsident des Gerichtshofs ist, stammt eines der zwei abweichenden Voten. Die zweite Richterin, die sich der Mehrheit ihrer Kollegen entgegenstellte, Xue Hanqin, ist aus China.

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