Süddeutsche Zeitung

Türkei-Ukraine:Zwischen allen Stühlen

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Präsident Erdoğan möchte in der Ukraine-Krise unbedingt vermitteln. Als gelegentlicher Russlandfreund und Nato-Mitglied pflegt er enge Beziehungen zur Ukraine. Es wäre ein Krieg, der seine Schaukelpolitik strapazieren könnte.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, von Haus aus Freund klarer Ansagen, machte keinerlei Hehl daraus, wie nervös er ist. "Als wichtiges Land der Region sehen wir die negativen Entwicklungen zwischen Russland und der Ukraine mit Sorge", so Erdoğan jüngst in einer Rede: Er weiß, dass ein weiterer Krieg in der unmittelbaren Nachbarschaft der Türkei gefährlich wäre. Es wäre ein Krieg, in dem Ankara weder mitmischen könnte noch wollte, in den es aber leicht hineingezogen werden könnte.

Die Ukraine hat sich bereits einverstanden erklärt, in der Türkei zu Friedensgesprächen zusammenzukommen. Aber es fehlt die Zusage Moskaus, eine neue Verhandlungsplattform zu eröffnen neben den bisherigen diplomatischen Gesprächsformaten. Die von Erdoğan angestrebte Vermittlerrolle lässt also auf sich warten. Der türkische Staatschef war am Donnerstag nicht nur als uneigennütziger Makler nach Kiew gereist, er hat auch eigene Interessen. Der sich seit Wochen aufheizende Konflikt zwischen Russland, der Ukraine und der Nato könnte zum Belastungstest für die konfliktträchtige Schaukel-Außenpolitik Erdoğans werden.

Die türkischen Kampfdrohnen gelten als sehr gut

Die Türkei sitzt zwischen allen Stühlen. Sie unterhält enge Beziehungen zur Ukraine, verkauft Waffen und Militärtechnik in das Land. Unter anderem die gefürchteten türkischen Kampfdrohnen. Bewaffnete Drohnen werden von vielen Militärexperten als eine möglicherweise kriegsentscheidende Waffe in zukünftigen Konflikten betrachtet. Und die unbemannten Fluggeräte aus der Türkei gelten als sehr gut.

Die Rüstungskooperation geht noch weiter, die Staaten entwickeln und bauen gemeinsam neue Drohnen und Triebwerke. "Unsere Beziehungen zur Ukraine haben sich in den letzten Jahren bei Handel, Investitionen, Tourismus und Verteidigungsindustrie stark entwickelt", so Erdoğan. Er positionierte sich vermittelnd: "Wir bringen unsere Unterstützung für die territoriale Integrität der Ukraine zum Ausdruck. Und wir laden alle Parteien zur Zurückhaltung und zum Dialog ein."

Erdoğan tritt für die Unantastbarkeit des Nachbarlandes ein und hat immer wieder gegen die völkerrechtswidrige russische Annexion der Krim im Jahr 2014 protestiert. Nützlicher Anlass sind ihm die muslimischen Krim-Tataren, zu deren Schutzmacht sich die Türkei ernannt hat.

Ankara kontrolliert wichtige Meerengen

Bei all dem bleibt die Türkei ein wichtiger Nato-Staat, wenn auch derzeit ein ungeliebter. Die Türkei ist zudem Schwarzmeer-Anrainer und sogar Torwächter des geopolitisch wichtigen Gewässers. Auf Grundlage des "Vertrags von Montreux" kontrolliert Ankara die Meerengen der Dardanellen und des Bosporus. Die Durchfahrt von Kriegsschiffen ist im Vertrag von 1936 sowohl für den Friedens- als auch für den Kriegsfall geregelt. Das gibt Ankara Gewicht.

Denn das Schwarze Meer würde in einem ukrainisch-russischen Konflikt einer der Schauplätze werden, an denen die Nato Präsenz zeigen und weiterreichende Ambitionen Russlands einzuhegen versuchen würde. Die türkischen Beziehungen zur Nato sind aber wegen des Kaufes russischer S-400-Luftabwehrraketen belastet: Ankara unterhält enge rüstungspolitische Beziehungen zu Russland. Es nimmt dafür Streit mit den USA und dem Bündnis in Kauf.

Ankara stellt sich oft erfolgreich gegen Verbündete Russlands

Erdoğan lässt den Gesprächsfaden zu Präsident Wladimir Putin trotz regelmäßiger Verstimmungen nie abreißen: Es ist eine Partnerschaft, die beiden Seiten mehr nutzt als schadet. Und das, obwohl die türkische Seite sich auf den Kriegsschauplätzen in Syrien, in Libyen und in Bergkarabach gegen die Verbündeten Moskaus gestellt hat, oft erfolgreich. Noch schwieriger wird diese Schaukelpolitik zwischen dem Nato-Westen und der östlichen Großmacht Russland durch Erdoğans offen formulierten Anspruch auf eine eigene Vormachtrolle in der Großregion rund um die Türkei: im Kaukasus, im Schwarzmeer-Raum, im östlichen Mittelmeer sowie in Nahost samt Teilen Nordafrikas.

Ankaras aktive, oft militarisierte Außenpolitik und das Sammelsurium angeblicher türkischer Interessen, das der amtierende Machthaber in den letzten Jahren ohne Rücksicht auf Freund oder Feind aufgefächert hat, stört nicht nur Russland. Diese Politik liegt - zumindest im Mittelmeer und in Nahost - auch nicht im Interesse der USA und der Nato.

Vor diesem diffusen Hintergrund versucht Erdoğan sich als Vermittler ins Spiel zu bringen. Sollte es wirklich zu einem Ukraine-Krieg mit einer verstärkten Präsenz der Nato rund um das Konfliktgebiet kommen, müsste die Türkei ihren Bündnis-Verpflichtungen nachkommen. Und sollten Kiews Streitkräfte mit den von Ankara gelieferten Drohnen reihenweise russische Panzer abschießen, würde die Partnerschaft zu Moskau belastet. Weshalb für Erdoğan eine Rolle als erfolgreicher Vermittler das Ideal-Szenario wäre. Vorausgesetzt, alle Beteiligten trauen sie ihm zu.

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