Süddeutsche Zeitung

Tunesien:An der Macht - und nun?

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Präsident Kaïs Saïed hat die Macht vor zwei Wochen weitgehend an sich gerissen. Aber noch immer hat er nicht erklärt, wie er das nordafrikanische Land aus der Krise führen will.

Von Paul-Anton Krüger, München

Zwei Wochen sind es an diesem Sonntag, seit Tunesiens Präsident Kaïs Saïed den Premierminister abgesetzt, die Aktivitäten des Parlaments eingefroren und selbst die Regierungsgeschäfte übernommen hat. Seither befindet sich das nordafrikanische Land in einem seltsamen Schwebezustand.

Saïed hat immer betont, dass er sich im Rahmen der Verfassung bewege, die in Artikel 80 eine Notstandsklausel enthält. Er hat in vielen Gesprächen mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und in Interviews versichert, die Demokratie in Tunesien zu erhalten, ebenso wie die Freiheitsrechte, die sich die Menschen 2011 durch ihren Aufstand gegen den Diktator Zine el-Abidine Ben Ali erstritten haben. Er habe nicht vor, Tunesien autoritär zu regieren, sagt er - allerdings auch nicht, was sonst seine Pläne sind.

In einem am Donnerstag veröffentlichten Video bekräftigte er, dass es "keinen Weg zurück" gebe von seinen Entscheidungen des 25. Juli, zu denen es auch gehörte, die Immunität der Abgeordneten aufzuheben und selbst die Rolle des Generalstaatsanwalts auszuüben. Zu einem Dialog über Wege aus der Krise erklärte er, dieser könne "nur mit den Aufrichtigen" geführt werden. Mit den "Krebszellen" könne es keine Gespräche geben - offen lässt er, welche der politischen Akteure er in welche Kategorie einordnet.

Die Kampfansage gegen Korruption kommt gut an

Der Präsident stellt sein Vorgehen dar als Kampf gegen Korruption und Klientelwirtschaft, die Verkrustung des politischen Systems und das Versagen der Regierung - und findet damit zumindest bislang breite Zustimmung in der Bevölkerung. Laut einer lokalen Umfrage befürworten 87 Prozent der Tunesier das, was im Land etwas verdruckst, aber neutral oft nur als die "Maßnahmen des 25. Juli" bezeichnet wird. Proteste gibt es keine, allerdings hat der Präsident mit Verweis auf die Corona-Epidemie Versammlungen verboten. Seine Ankündigungen wurden zuvor in den Straßen gefeiert.

Kaïs Saïed trifft eine Stimmung, die schon dazu beigetragen hatte, dass er 2019 als politischer Außenseiter ohne Basis im Parteiensystem mit mehr als 70 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Seither hat sich die Wirtschaftskrise weiter vertieft, die eine hohe Arbeitslosigkeit vor allem unter der Generation der bis 35-Jährigen zur Folge hat. Verschärft wurde die Misere durch die Corona-Pandemie; Tunesien kämpft mit hohen Infektionszahlen und einer der höchsten Sterblichkeiten durch die Seuche weltweit. Missmanagement bei der Impfkampagne verschärfte die Situation.

Ennahda, die moderat-islamistische Partei, die mit 52 der 217 Abgeordneten die stärkste Kraft im Parlament ist, ruft inzwischen nach einem Dialog, nachdem sie Saïed erst einen "Putsch gegen die verfassungsmäßige Ordnung" vorgeworfen hatte. Parlamentspräsident Rached Ghannouchi, zugleich Parteichef, sagte, die Machtergreifung des Präsidenten könne zu einer "neuen Stufe des demokratischen Wandels" führen.

Die Wende ist aber wohl auch damit zu erklären, dass Ghannouchi im Zentrum parteiinterner Kritik steht und Ennahda am meisten zu verlieren hat: Der Präsident hat Ermittlungen zur Finanzierung der Partei eingeleitet und einen Richter unter Hausarrest gestellt, der beschuldigt wird, Akten von Terrorermittlungen unterschlagen zu haben. Es geht dabei auch um die Morde an den beiden linken, säkularen Politikern Chokri Belaïd und Mohamed Brahmi, die 2013 zu massiven Protesten geführt und das Land tief gespalten haben. Ennahda bestreitet jede Verbindung zu dem Richter und den Morden, allerdings sind die Hintergründe nie komplett aufgeklärt worden.

Der Druck steigt, zum Pfad der Demokratie zurückzukehren

Mittlerweile werden aber auch langsam Gruppen der Zivilgesellschaft nervös. Der mächtige Gewerkschaftsbund UGTT forderte den Präsidenten am Dienstag auf, schnell einen Premier zu ernennen. Ein Berater Saïeds sagte am Donnerstag der amtlichen Nachrichtenagentur Agence Tunis Afrique Presse aber, es gebe noch keine abschließende Entscheidung, was einen neuen Regierungschef betreffe - obwohl der Präsident angekündigt hatte, die Regierungsgewalt zusammen mit einem Premier ausüben zu wollen.

Auch international steigt der Druck auf den Präsidenten, der weiter reihenweise Minister, hohe Beamte, Gouverneure und andere Funktionsträger absetzt und teils durch eigene Kandidaten ersetzt. Die USA und Frankreich forderten ihn auf, zum "Pfad der Demokratie zurückzukehren", wie es Jake Sullivan formulierte, der Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden. Bislang zeigt sich Kaïs Saïed auch davon unbeeindruckt.

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