Süddeutsche Zeitung

Türkei:Klage gegen prokurdische Oppositionspartei

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Der Generalstaatsanwalt will die HDP, immerhin zweitgrößte Oppositionspartei, verbieten. Der Vorwurf: Sie verfolge separatistische Ziele.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Die türkische Justiz will die prokurdische linke Oppositionspartei HDP verbieten lassen. Die Staatsanwaltschaft reichte am Mittwoch Klage beim Obersten Gericht ein. Vorgehalten wird der nicht nur unter den Kurden populären Partei vom Generalstaatsanwalt, dass sie "die Einheit der Nation" bedrohe, sprich als kurdennahe politische Kraft separatistische Ziele verfolge.

Das Vorgehen der Justiz dürfte aber noch einen anderen Grund haben als nur die Angst vor dem viele Jahrzehnte alten kurdischen Separatismus: Staatschef Recep Tayyip Erdoğan verliert Umfragen zufolge zunehmend an Rückhalt bei der Bevölkerung, es wird über vorgezogene Wahlen spekuliert. Dabei könnte die HDP zum ausschlaggebenden Faktor werden, wenn sie sich an die Seite der anderen großen Oppositionsparteien stellt.

Ein Erfolg der Klage ist wahrscheinlich

Die Justiz in der Türkei gilt als politisiert, der Rechtsstaat wird nach Meinung von Kritikern konsequent ausgehöhlt. Daher ist ein Erfolg der Klage für ein HDP-Verbot wahrscheinlich. Verbieten lassen will der Generalstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs in der Türkei die HDP vom Verfassungsgericht. Eine entsprechende Anklageschrift sei an das Gericht in Ankara geschickt worden, hatte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtet. HDP-Mitglieder hätten mit ihren Aussagen und Handlungen beabsichtigt, die Integrität des Staates zu untergraben.

Die Klage kann vor dem Hintergrund der innenpolitischen Situation im Land nicht sonderlich überraschen. Die HDP, die 2012 gegründet wurde, ist mit aktuell noch 55 Sitzen im Parlament immerhin die zweitgrößte Oppositionspartei in der Türkei. Offiziell wirft die Regierung der HDP vor, der politische Arm der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Die PKK ist nicht nur in der Türkei als Terrororganisation verboten, sie wird unter anderem auch in den USA und in Europa als Terrorgruppe gelistet.

Die Regierung übt aber nicht nur deshalb seit Langem Druck auf die HDP aus, Tausende Mitglieder sitzen in türkischen Gefängnissen. Der ehemalige Co-Vorsitzende der Partei, der populäre Politiker Selahattin Demirtaş, ist seit 2016 inhaftiert, seit 2019 wurden zahlreiche frei gewählte Bürgermeister quer durch das Land abgesetzt und durch Regierungsverwalter ersetzt. Kürzlich wurden erneut zahlreiche HDP-Mitglieder unter Terrorvorwürfen festgenommen.

Oft wurden Parteien nach Verboten unter anderem Namen neu gegründet

Die Unterstützung anderer Oppositionskandidaten durch die linke HDP hatte schon bei den Kommunalwahlen 2019 zur Niederlage von Erdoğans Regierungspartei AKP geführt. Das hervorstechende Beispiel war der Sieg des heutigen Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu, der der größten Oppositionspartei CHP angehört. Ohne die Wahlempfehlung durch die HDP hätte er das Führungsamt für die größte und wichtigste Stadt des Landes kaum gewonnen.

Die Frage ist, ob die HDP nach einem möglichen Verbot unter einem anderen Namen erneut antreten könnte. In der Türkei sind kurdennahe Parteien schon öfter verboten worden, meist kam es kurz darauf zu Neugründungen unter einem anderen Namen. Ob das diesmal möglich wäre, ist fraglich. Ein HDP-Verbot wird politisch besonders laut vor allem von Erdoğans inoffiziellem Koalitionspartner, der rechtsnationalistischen MHP, betrieben. Dabei waren auch Wege vorgeschlagen worden, wie eine sofortige Neugründung der HDP unter einem neuen Namen verhindert werden könne.

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