Süddeutsche Zeitung

Reaktionen zum Rücktritt:"In der politischen Geschichte wird Liz Truss eine Fußnote sein"

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Die britische Regierungskrise geht weiter, nachdem die Premierministerin nach nur sechs Wochen wieder ihren Hut nimmt. Boris Johnson soll schon seine Kandidatur planen. Die Reaktionen im Überblick.

Von Leopold Zaak

Der Rücktritt von Premierministerin Liz Truss kam zwar kurzfristig - überraschend kam er allerdings nicht. Schon vor einigen Tagen stellte die britische Boulevard-Zeitung Daily Star die Frage: Wer hält länger durch? Liz Truss oder ein Salat? Wer in diesen Minuten in den Livestream schaut, der sieht einen Salatkopf, der sich sehr über seinen Sieg zu freuen scheint. Aber längst nicht alle reagieren mit britischem Humor auf die erneute britische Regierungskrise. Die Reaktionen im Überblick:

Ex-Premier Boris Johnson soll Berichten zufolge eine erneute Kandidatur für den Posten planen. Das berichten die Zeitungen Times und Telegraph unter Berufung auf nicht genannte Quellen. Johnson glaube, eine Kandidatur sei im "nationalen Interesse", hieß es in der Times. Johnson, der nach der "Partygate"-Affäre und vielen weiteren Skandalen Anfang Juli zum Rücktritt gezwungen wurde, hat noch immer in Teilen der Partei eine loyale Unterstützerbasis. In Umfragen unter Parteimitgliedern schnitt er zuletzt wieder gut ab.

Keir Starmer, der Chef der Labour-Party, spricht sich für Neuwahlen aus. Mit Blick auf die sich häufenden Rücktritte in der Downing Street sagt er: "Wir dürfen keine Drehtür des Chaos haben." Zudem stehe seine Partei bereit, die Regierung im Land zu übernehmen. Das derzeitige Chaos an der Spitze der britischen Regierung sei nicht nur eine "Seifenoper der Tory-Partei", sondern bedeute großen wirtschaftlichen Schaden für die britische Wirtschaft und einen enormen Image-Verlust des ganzen Landes, sagt Starmer.

Der ehemalige Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn schreibt bei Twitter, das Debakel der kurzen Amtszeit von Truss sei das Symptom eines kaputten Wirtschaftssystems und einer beschädigten Demokratie. Wenn man nicht endlich eine "Gesellschaft für die Vielen" und nicht "für die Wenigen" errichte, dann werde Großbritannien weiter von Krise zu Krise taumeln, wobei die "einfachen Menschen den Preis dafür zahlen".

US-Präsident Joe Biden betont die engen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien. "Diese Tatsache wird sich niemals ändern", heißt es in einem Statement. Er dankt Truss für die Zusammenarbeit vor allem bei den Sanktionen gegen Russland.

Macron ist "traurig", Russland reagiert mit Häme

Geht es nach der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon soll es möglichst bald Neuwahlen in Großbritannien geben. "Eine Neuwahl ist nun ein demokratischer Imperativ", schrieb sie auf Twitter. Truss habe ihr in ihrer ganzen Amtszeit "nicht einmal einen Anruf" zukommen lassen, erklärte Sturgeon am Abend bei Sky News. "In der politischen Geschichte wird Liz Truss eine Fußnote sein", kommentierte sie.

Der französische Präsident Emmanuel Macron zeigt sich emotional. "Ich bin immer traurig, wenn Kollegen gehen." Er habe mit Truss stets sehr konstruktive Treffen gehabt, zuletzt beim Gipfel der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft in Prag. Er sei zudem besorgt um die politische Situation im Nachbarland. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine, der Spannungen beim Thema Energie und noch größerer Krisen sei es wichtig, dass Großbritannien schnell wieder politische Stabilität erlange, sagte er am Rande des EU-Gipfels.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sieht im Rücktritt von Truss eine Lektion, aus der auch andere Europäer lernen können. Rhetorik könne eine Regierung zu Fall bringen, sagt die Maltesin. Und weiter: "Ich denke, es ist eine Botschaft, dass Marktinstabilität zu demokratischer Instabilität führen kann." Sie hoffe, dass diese instabile Situation bald gelöst sei, von Seiten des Europaparlaments werde man weiter mit Großbritannien zusammenarbeiten.

Auch aus Deutschland kommen Reaktionen. Der stellvertretende Vorsitzende der FDP und Außenpolitiker Alexander Lambsdorff sieht Truss' Rücktritt im Brexit begründet. Sowas passiere, wenn man sein Land von seinem größten und wichtigsten Markt abschneide. "Der Brexit frisst seine Kinder", schreibt er.

In Russland reagiert man mit Spott und harten Worten auf den Rücktritt von Truss. "Großbritannien hat noch nie eine solche Schande eines Premierministers erlebt", sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. Sie werde wegen ihres "katastrophalen Analphabetismus" in Erinnerung bleiben. Sacharowa spielt damit auf ein Treffen vom russischen Außenminister Lawrow mit Truss an, die damals noch britische Außenministerin unter Boris Johnson war. Sie soll zwei russische Regionen mit ukrainischen Gebieten verwechselt haben und hatte damals den Spott von Lawrow auf sich gezogen.

Und Anthony Scaramucci, der Mann, der 2017 für zehn Tage lang als Kommunikationsdirektor im Weißen Haus von Donald Trump arbeitete, reagierte mit viel Selbstironie. Liz Truss habe "4,1 Scaramuccis lang durchgehalten", twittert er.

Derweil verschaffte das Aus von Truss dem kriselnden Pfund eine Verschnaufpause. Im Verhältnis zu vielen wichtigen Währungen zog es kräftig an, nachdem die Premierministerin ihren Rücktritt bekanntgegeben hatte. Die von ihr geplanten Steuersenkungen hatten zu Verwerfungen am Kapitalmarkt geführt. "Trotzdem stehen dem Pfund aufgrund der politischen Unsicherheit, hoher Inflation sowie einer anstehenden Rezession vorerst weiter volatile Zeiten bevor", schrieb Sonja Marten, Devisenexpertin der DZ Bank.

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