Süddeutsche Zeitung

Nach dem Sturm aufs Kapitol:Präsident mit plötzlicher Einsicht

Lesezeit: 4 min

Mit einer sanften Rede versucht Donald Trump offenbar, ein neues Amtsenthebungsverfahren zu vermeiden. Die Demokraten werden es ihm wohl nicht abkaufen.

Von Thorsten Denkler, New York

Der Rauch des Tränengases hat sich verzogen, es ist ruhig vor und im Kongress in Washington, die Scherben der eingeschlagenen Fenster sind aufgesammelt. Und Joe Bidens Wahl zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten ist trotz des Sturms auf das Kapitol von den US-Abgeordneten bestätigt worden.

Es ist der Tag, nachdem ein vom amtierenden Präsidenten Donald Trump angestachelter Mob die Barrieren vor dem Kapitol-Hügel durchbrach und sich wild randalierend Zugang zum Allerheiligsten der US-Demokratie verschaffte. Mit dem klaren Ziel, zu verhindern, dass der Kongress Bidens Wahl bestätigt.

Es ist ein Tag mit Fragezeichen. Wie konnten die Aufrührer so leicht Senat und Repräsentantenhaus besetzen, in Büros eindringen und dort alles verwüsten? Was passiert jetzt mit Trump? Wie reagieren Demokraten und Republikaner? Welchen Schaden trägt die älteste moderne Demokratie der Welt mit diesem Tag davon?

Das meiste lässt sich noch nicht eindeutig beantworten. Trump aber scheint beschlossen zu haben, dass er nicht noch vor dem 20. Januar aus dem Amt geworfen werden will, wie führende Demokraten und ein paar Republikaner nach den Geschehnissen fordern.

Am Abend veröffentlicht er auf Twitter eine auf 2:41 Minuten geschnittene Ansprache, in der er recht kleinlaut wirkt. Dem Land als Präsident zu dienen, sei "die Ehre seines Lebens" gewesen, säuselt er. Schon an diesem Satz sind zwei Dinge bemerkenswert im Vergleich zu den Reden, die er seit der Wahl gehalten hat. Erstens: Vergangenheitsform. Zweitens: kein "vielleicht" oder "mal sehen" oder "wer weiß, was passiert". Er scheint einzusehen, dass seine Zeit im Weißen Haus bald um ist.

"Ihr repräsentiert nicht unser Land"

Außerdem verurteilt er die Gewalt vom Mittwoch. Wer auch immer in Gewaltakte verwickelt gewesen sei: "Ihr repräsentiert nicht unser Land", sagt er. Am Mittwoch hatte er den Aufrührern in einer ähnlichen Ansprache noch seine Sympathien zukommen lassen: "Ihr seid besondere Menschen." Jetzt erklärt er genau diesen Menschen: Wer immer das Gesetz gebrochen habe, "muss dafür bezahlen".

Er ruft dann noch zu "Heilung und Versöhnung auf", sagt, dass es nach der Wahl eine intensive und "emotionale Phase" gegeben habe, sich die Gemüter jetzt aber beruhigen müssten. Es ist die Rede, die Präsidenten in der Regel dann halten, wenn die Niederlage nicht mehr abwendbar ist. Das war sie am 7. November bereits, als alle großen Sender Joe Biden zum Sieger erklärt hatten.

Trump rechtfertigte seine Versuche, das Wahlergebnis in Frage zu stellen, damit, dass er lediglich die "Integrität der Wahl" habe sichern wollen. Er habe "dafür gekämpft, die amerikanische Demokratie zu verteidigen".

An einer Stelle fehlt in dem Video etwas. Trump stellt zunächst fest, dass der Kongress die Wahl zertifiziert habe. Ein Faktum, das anzuerkennen ihm nicht leicht gefallen sein dürfte. Danach ist ein Schnitt, etwas scheint entfernt worden zu sein. Was das war, darüber darf spekuliert werden. Trumps nächster Satz jedenfalls lautet: "Eine neue Regierung wird am 20. Januar in das Amt eingeführt."

Er verspricht noch, einen sanften Wechsel der Macht zu ermöglichen. Und hat dann eine Botschaft für seine womöglich enttäuschten Anhänger: "Ich will, dass ihr wisst, dass unsere unglaubliche Reise gerade erst beginnt." Das darf als Drohung verstanden werden.

Seine eigene Verantwortung für den Sturm auf das Kapitol spricht Trump mit keinem Wort an. Er gesteht keinen Fehler ein. Er spricht, als hätte es seine Wutrede vor dem Weißen Haus am Mittwoch, seinen unverblümten Aufruf zum Putsch nie gegeben.

Die Demokraten werden ihm wohl ohnehin keinen Satz seiner Rede abnehmen. Sie wollen ihn aus dem Amt hebeln, so schnell es geht. Die beiden demokratischen Führer im Kongress, Senator Chuck Schumer und die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, haben klargemacht: Entweder Vizepräsident Mike Pence initiiert ein Amtsenthebungsverfahren nach Zusatzartikel 25 der Verfassung. Was bedeutet, dass eine Kabinettsmehrheit auf sein Bestreben hin Trump für amtsunfähig erklärt und Pence zum Präsidenten ernennt. Oder der Kongress, der bald ganz in demokratischer Hand sein wird, leitet selbst ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen Trump ein.

Pence will nicht mitmachen

In beiden Fällen kann sich das ziehen. Es ist fraglich, ob Trump noch vor dem 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung nach einer Präsidentenwahl, aus dem Amt entfernt werden kann. Pence will sich dem Vernehmen nach ohnehin nicht auf die Absetzung über den Zusatzartikel 25 einlassen. Zumal immer mehr Kabinettsmitglieder ihren Rücktritt einreichen. Am späten Donnerstag ist es Bildungsministerin Betsy DeVos, die sagt, dass ihr Trumps Rhetorik nicht gefallen habe. Zwei Wochen vor der Amtsübergabe kehrt plötzlich ein Gewissen zurück. Verkehrsministerin Elaine Chao war DeVos zuvorgekommen.

Der Weg über den 25. Verfassungszusatz fällt also wohl aus. Es bliebe nur der parlamentarische Weg. Im Repräsentantenhaus könnte die einfache Mehrheit für eine Anklage, das Impeachment, schnell zustande kommen. Das gelang schon 2019. Ob es dann später im Senat für die nötige Zweidrittelmehrheit reicht, um Trump auch zu verurteilen, ist fraglich. Im Senat sitzen nun 50 Demokraten und 50 Republikaner. Die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris kann ein Patt zugunsten der Demokraten auflösen, wenn es nur darum geht, eine absolute Mehrheit zu erzielen. Von zwei Drittel aber sind die Demokraten weit entfernt.

Sollte es dennoch klappen, dann kann der Senat Trump auch gleich verbieten, jemals wieder öffentliche Ämter auszuüben. Eine Kandidatur 2024 wäre dann ausgeschlossen. Vielleicht wäre das ja ein Köder, mit dem sich der eine oder andere Republikaner locken ließe.

Pelosi und Schumer scheinen sich ohnehin festgelegt zu haben, irgendwas in Richtung Amtsenthebung wird passieren. Trump läuft dann Gefahr, nicht nur ein One-Term-Präsident zu sein, der das Land in katastrophalem Zustand hinterlässt. Er könnte auch der erste US-Präsident sein, der zweimal impeached wurde.

Darum wohl hielt Trump diese Ansprache, darum seine milden Töne, seine Rede von "Heilung und Versöhnung". Seht her, so ein Rüpel bin ich gar nicht. Die Demokraten werden sich davon kaum beeindrucken lassen. Wie sagte der designierte US-Präsident Joe Biden am Tag des Sturms auf das Kapitol: "Genug ist genug ist genug."

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