Süddeutsche Zeitung

Trumps Ukraine-Affäre:Anschuldigungen am laufenden Band

Lesezeit: 6 min

Ein US-Botschafter wirft Trump vor, Militärhilfen für die Ukraine zurückgehalten zu haben, um Joe Biden zu schaden. Steigert das die Wahrscheinlichkeit eines Impeachments? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Thorsten Denkler, New York, Christian Simon und Lukas Wittland

Im Sumpf der Ukraine-Affäre scheint es für Donald Trump nur einen Weg zu geben: immer tiefer hinein. Der US-Präsident manövriert sich mit seinen Auftritten und Tweet-Tiraden oft selbst in den Treibsand. Zuletzt aber sind es vor allem andere, die dem US-Präsidenten ein paar Gewichte zusätzlich auf die Schultern legen. Am Dienstag hat der geschäftsführende US-Botschafter in Kiew, William Taylor, gleich einen ganzen Eisenwarenladen mitgebracht. Im Kongress sagte er aus, Trump habe US-Militärhilfe für die Ukraine zurückgehalten, um von seinem ukrainischen Amtskollegen Ermittlungen gegen die Demokratische Partei und den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden zu verlangen. Das wäre Amtsmissbrauch und neues Futter für das Impeachement-Verfahren der Demokraten.

Worum geht es in der Ukraine-Affäre?

Am 25. Juli hat Präsident Trump in einem Telefongespräch den neuen ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenskij gebeten, gegen Joe Biden und dessen Sohn Hunter zu ermitteln. Das Telefonat ist aus verschiedenen Gründen hochproblematisch. Kurz zuvor hatte Trump US-Militärhilfe für die Ukraine im Wert von knapp 400 Millionen Dollar auf Eis gelegt. Auf diese Hilfe ist die Ukraine im Kampf gegen russische Aggressoren im Osten des Landes dringend angewiesen. Der Verdacht steht im Raum, dass Trump seine Machtstellung gegenüber der Ukraine genutzt hat, um die Ukraine dazu zu bringen, belastendes Material gegen Joe Biden auszugraben, seinen wahrscheinlichen Herausforderer in der Präsidentschaftswahl 2020. Der Satz, auf den alles hinausläuft, lautet: "Ich möchte, dass Sie uns einen Gefallen tun." Vor diesem Satz hatte Trump mehrfach auf die besondere Bedeutung der USA für die Ukraine hingewiesen. Nach dem Satz bat er Selenskij um Ermittlungen gegen Biden. Ein Whistleblower-Bericht zu dem Gespräch führte Ende September schließlich zum Start der Impeachment-Untersuchung. Anfang Oktober wurde bekannt, dass es offenbar mindestens einen weiteren Whistleblower gibt. Ihre Identitäten sind der Öffentlichkeit nicht bekannt.

Was wirft Trump seinem politischen Gegner Biden vor?

Joe Biden hat 2016 als Vizepräsident der USA im Konzert mit vielen anderen westlichen Regierungen erfolgreich darauf gedrängt, dass der damalige amtierende Generalstaatsanwalt Viktor Shokin entlassen wurde. Shokin wurde vorgeworfen, vorsätzlich nichts gegen die grassierende Korruption in der Ukraine unternommen zu haben. Trump glaubt nun, Biden habe mit der Entlassungsforderung nur seinen Sohn Hunter vor Strafverfolgung in der Ukraine schützen wollen. Trump stützt sich dabei vor allem auf Erkenntnisse seines persönlichen Anwaltes und ehemaligen New Yorker Bürgermeisters Rudy Giuliani. Giuliani, bekanntermaßen ein Anhänger von Verschwörungstheorien, hat sich diese Geschichte allerdings offenbar von Shokin erzählen lassen. Es gab mehrere Gespräche zwischen Shokin und Giuliani in jüngster Zeit.

Was ist dran an Trumps Vorwürfen gegen Biden?

Soweit bekannt: Nichts. Hunter Biden war zwar 2016 Mitglied im Verwaltungsrat von Burisma, dem größten Gaskonzerns der Ukraine. Und gegen die Burisma-Führung wurde tatsächlich mal ermittelt. Zu einem aber nie gegen Hunter Biden selbst, wie die Behörden der Ukraine mehrfach bestätigt haben. Zum anderen lagen diese Ermittlungen längst auf Eis, als Joe Biden die Entlassung von Shokin forcierte. Giuliani ist überdies vom inzwischen zurückgetretenen Sonderbeauftragen des US-Außenministeriums, Kurt Volker, mehrfach gewarnt worden, dass Shokin keine vertrauenswürdige Quelle sei. Offenbar waren die Warnungen erfolglos.

Warum ist die Ukraine-Affäre so ein Skandal?

Trump hat die Ukraine aufgefordert, zu seinem persönlichen Vorteil gegen einen politischen Konkurrenten vorzugehen. Aus Sicht der Demokraten ist das Amtsmissbrauch und der Hauptgrund für das Impeachment-Verfahren. Außerdem habe er die nationale Sicherheit gefährdet, weil er Militärhilfe für einen Verbündeten von einem persönlichen Gefallen abhängig gemacht habe. Der Amtsmissbrauch wird aller Voraussicht nach die ersten und wichtigsten Anklagepunkte ("Articles of Impeachment") in dem Verfahren begründen. Trump verweist immer darauf, dass es kein Gegengeschäft mit der Ukraine gegeben habe, kein "Quid pro Quo". Selbst wenn das stimmt, tut das nichts zur Sache. Die Frage nach einem Gefallen zu seinem persönlichen Vorteil reicht für ein Impeachment.

Anfang Oktober wiederholte er vor laufender Kamera genau das Verhalten, dessentwegen ein Impeachment-Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Nachdem er bei einer spontanen Pressekonferenz auf dem Südrasen des Weißen Hauses abermals bekräftigte, die Ukraine solle gegen Joe Biden und dessen Sohn Hunter ermitteln, sagte er: "Und übrigens: China sollte ebenfalls eine Untersuchung der Bidens beginnen."

Was änderte Trumps Bitte an China?

Seine China-Aussagen stellen da erneut ein klaren, leicht verständlichen und auf Video verfügbaren Hinweis auf ein Fehlverhalten des US-Präsidenten dar. Der einzige Unterschied zum Ukraine-Telefonat ist, dass Trump diese Forderung an China jetzt öffentlich erhoben hat. China ist zwar im Gegensatz zur Ukraine ein mächtiger Spieler auf der Weltbühne. Aber zwischen den USA und China tobt gerade ein milliardenschwerer Handelskrieg. Denkbar wäre auch hier ein Tauschgeschäft. China liefert belastendes Material gegen Biden. Und Trump lenkt im Gegenzug im Handelskonflikt ein. Das wäre ein weiterer Grund für eine Amtsenthebung. Was genau die Chinesen untersuchen könnten, sagt Trump übrigens nicht. Es gibt jedenfalls keinen Hinweis auf ein Fehlverhalten von Joe oder Hunter Biden in Bezug auf China.

Welche Aussagen belasten Trump?

Ausgerechnet Trumps Stabschef im Weißen Haus Mick Mulvaney hat ihm kürzlich mit einer Äußerung einen Bärendienst erwiesen. Bei einer Pressekonferenz verplapperte sich Mulvaney. Auf Nachfrage eines Journalisten erklärte er, Trump habe Militärhilfen an die Ukraine zurückgehalten, um dort Ermittlungen gegen die Demokraten, die angeblich Server mit belastendem Material in der Ukraine versteckt hielten, in Gang zu bringen. Donald Trump bestreitet ein solches "Quid pro Quo" vehement. Auch wenn Mulvaney diese Äußerung in einer Mitteilung kurz danach widerrief, ist sie feurige Munition für das Impeachment-Verfahren der Demokraten.

Auch die Darstellung des geschäftsführenden US-Botschafters in Kiew, William Taylor, legt ein Tauschgeschäft nahe. Er sagte im Kongress aus, dass Trump jegliche Wünsche seines ukrainischen Amtskollegen - etwa wichtige US-Militärhilfe - von der Einleitung von Ermittlungen gegen die Demokratische Partei und einer Erdgasfirma mit Verbindungen zur Familie Biden abhängig gemacht habe. Damit belastet er Trump schwer. Eine zentrale Forderung sei dabei gewesen, dass Selenskij öffentlich Untersuchungen gegen Bidens Sohn Hunter ankündige.

Dass "alles" von einer öffentlichen Ankündigung abhängig sei, habe Taylor im September der US-Botschafter in Brüssel, Gordon Sondland, telefonisch mitgeteilt. Sondland hatte Trump eine Woche zuvor mit seiner Aussage vor Kongressabgeordneten weiter unter Druck gesetzt. Dort berichtete er, dass Trump seinen persönlichen Anwalt Rudy Giuliani praktisch vollständig mit der Ukraine-Politik der USA betraut habe. Giulianis Hauptanliegen sei gewesen "die Ukraine direkt oder indirekt in die Wiederwahlkampagne 2020 zu involvieren". Er sei es auch gewesen, der Trump auf die angeblichen Server der Demokraten und Joe Biden gebracht habe.

Was hat es mit diesem Server auf sich?

Trump glaubt, dass in der Ukraine ein Server mit E-Mails der Demokratischen Partei versteckt sei. Trump-Unterstützer hatten diese Verschwörungstheorie entwickelt. Ihr zufolge seien die Server der Demokraten bei der Wahl 2016 nie von Russland aus gehackt worden. Um das zu vertuschen, seien sie in die Ukraine gebracht und dort versteckt worden. Diese Annahme ist mehrfach von verschiedenen US-Geheimdiensten widerlegt worden, die bestätigen, dass russische Hacker für den Angriff verantwortlich waren.

Wie geht es jetzt weiter im Impeachment-Verfahren?

Zuerst einmal ändert sich nichts. Die Demokraten werden ihre Ermittlungen fortsetzen, und dann irgendwann mit ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus einen oder mehrere "Articles of Impeachment" gegen Trump beschließen. Trump wäre damit "impeached", aber noch nicht seines Amtes enthoben. Mit dem Beschluss des Repräsentantenhauses wird zunächst nur der Senat aufgefordert, eine Art Gerichtsverfahren gegen Trump einzuleiten. Wie dieses Verfahren aussehen wird und ob es überhaupt dazu kommt, ist völlig offen. Es gibt dazu keine niedergeschriebenen Regeln. Um Trump aber letztlich zu verurteilen und damit die präsidiale Macht zu entziehen, muss der 100-köpfige Senat mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Mindestens 20 republikanische Senatoren müssten sich dafür den Demokraten anschließen. Das erscheint im Moment noch unwahrscheinlich.

Hat sich die Stimmung bei den Republikanern gewandelt?

Tatsächlich hat Donald Trump in den vergangenen Wochen einige Entscheidungen getroffen, die für Unmut in der eigenen Partei gesorgt haben. Vor allem der Abzug der US-Truppen aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet sorgte für Wut bei vielen republikanischen Abgeordneten. Sie kritisieren, dass Trump der Türkei damit den Weg für einen Angriff auf die syrischen Kurden frei gemacht habe, mit denen US-Soldaten gemeinsam gegen den IS gekämpft hatten. Selbst einer der engsten Vertrauten und wichtigsten Unterstützer Trumps, Lindsey Graham, bezeichnete den Abzugsbefehl als Desaster.

Auch die - später von Trump zurückgezogene - Ankündigung, den G-7-Gipfel in einem seiner Hotels abhalten zu wollen, sorgte für Unmut, ebenso wie die Äußerungen von US-Diplomaten.

Allerdings sind die Abgeordneten weit davon entfernt, sich vehement gegen ihren Präsidenten zu stellen. Auch, wenn die Kritik an Trump zuletzt zunahm, die Mehrheit hält zu ihm - auch weil öffentliche Attacken gegen den Präsidenten schlecht für die eigene Karriere sein können.

Warum sind die letzten Vorfälle relevant?

Das Impeachment-Verfahren ist ein zutiefst politischer Prozess. Am Ende entscheiden nicht Richter, sondern Abgeordnete und Senatoren mit politischen Agenden, die sich zudem regelmäßig Neuwahlen stellen müssen. Ob Trump vom Senat verurteilt wird, hängt daher mindestens genauso sehr von der öffentlichen Meinung ab wie von den vorgebrachten Beweisen.

Wenn eine Mehrheit der US-Amerikaner Trump unterstützt, werden es sich besonders die Republikaner zweimal überlegen, ob sie Trump seines Amtes entheben wollen, egal wie skandalös oder bewiesen die Anschuldigungen sind. Dreht sich die Stimmung im Wahlvolk, könnte so mancher versucht sein, sein Amt mit einem strategischen Seitenwechsel zu schützen.

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