Süddeutsche Zeitung

US-Rückzug aus Syrien:Trumps Volte sollte nicht nur den Kurden Angst machen

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Mit dem Abzug der Truppen aus Syrien verrät der US-Präsident seine Bündnispartner auf der ganzen Welt. Was tun, wenn weder vernünftiges Zureden noch das Überwintern der Trump-Eiszeit helfen?

Kommentar von Daniel Brössler, Berlin

In den USA haben sich einige Medien und Organisationen der Aufgabe verschrieben, alle Lügen des Donald Trump zu dokumentieren. Ebenso nützlich könnte es sein, ein Verzeichnis all jener anzufertigen, die dem Ego, der Hybris, der Ignoranz und Skrupellosigkeit des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten zum Opfer gefallen sind. Vollständig wäre es freilich nie. Zu unüberschaubar ist die Zahl derer, die Trump als Baulöwe, TV-Entertainer und schließlich mächtigster Mann der Welt übers Ohr gehauen, im Stich gelassen oder verraten hat. Unzweifelhaft aber müsste der jüngste Eintrag auf so einer Liste den Kurden im Norden Syriens gelten. Trumps Befehl zum überstürzten Rückzug der US-Truppen bringt sie in größte Gefahr. Diese Volte, die den Kurden Furcht einflößt, sollte auch den Europäern Angst machen.

Zunächst einmal, weil Trump gegen den verzweifelten Rat seiner außenpolitischen und militärischen Berater mit dem Abzug der Spezialkräfte einen Raum öffnet, den die zwar in der Fläche, aber nicht im Kern besiegte Terrormiliz Islamischer Staat wieder füllen könnte. Zusätzlich werden die Kurden durch türkische Truppen unter Druck geraten, weshalb sie ihr Heil in einem Bündnis ausgerechnet mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad suchen könnten. Russlands Präsident Wladimir Putin hat Trumps Zug deshalb schon als richtig gelobt. Zufrieden sein können auch die ebenfalls mit Assad verbündeten Iraner. Dem amerikanischen Präsidenten ist somit das Kunststück gelungen, mit einer einzigen Entscheidung islamistische Krieger, Russen und Iraner zugleich glücklich zu machen. Trump verrät so nicht nur loyale Waffenbrüder, sondern auch traditionelle Prinzipien amerikanischer Außenpolitik.

Aus diesem Grund darf die Sorge in Deutschland und Europa nicht auf die weitere Entwicklung in Syrien beschränkt bleiben. Alarmierend ist das Muster, das sich nach bald zwei Jahren Trump im Weißen Haus zeigt. Es setzt sich zusammen aus Beratungsresistenz, Unempfindlichkeit gegenüber Kritik von außen, völliger Fokussierung auf Neigungen und Abneigungen der eigenen Wählerbasis, moralischer Indifferenz und Gleichgültigkeit gegenüber der traditionellen Verantwortung der USA in der Welt.

Die bisherigen Strategien für den Umgang mit dem Nationalisten im Weißen Haus haben sich damit mindestens als unzureichend erwiesen. Ganz zerschlagen hat sich die anfängliche Hoffnung, Trump lasse sich von "Erwachsenen" kontrollieren, die den Tanker USA auf seinem bisherigen geopolitischen Kurs halten und das transatlantische Verhältnis vor größerem Schaden bewahren. Das zeigt nun einmal mehr der Rücktritt von US-Verteidigungsminister James Mattis. Mit seiner verstummt die vielleicht letzte starke Stimme der Vernunft im Umfeld des Präsidenten. Als nur bedingt erfolgversprechend erweist sich aber auch die Technik des Überwinterns, die möglichst viel von dem, was vor der von Trump bewirkten Eiszeit galt, herüberretten soll zum erhofften Frühling nach seiner Präsidentschaft. Dem steht die Zerstörungskraft eines amerikanischen Präsidenten entgegen - zumal dessen Amtszeit sich von vier auf acht Jahre verlängern könnte.

Es gibt darauf eine einfache Antwort, die allerdings genau daran krankt, dass sie zu einfach ist. Natürlich müssen sich die Europäer stärker auf sich selbst besinnen und versuchen, unabhängiger von den Launen des US-Präsidenten zu werden. Die bittere Wahrheit ist jedoch, dass sie in ihrer jetzigen Verfassung dazu zu schwach sind.

Mit ihrem Akt der Selbstverstümmelung haben die Briten absurde Kräfte gebunden und auch Europa erheblichen Schaden zugefügt. Italien befindet sich unter einer populistischen Regierung auf Ferien von der Wirklichkeit, während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gerade an deren Tristesse zu scheitern droht. Derweil streitet Deutschland über das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung. Wenn nun Außenminister Heiko Maas den "abrupten Kurswechsel" der USA in Syrien beklagt, so hat er recht. Doch welche Bedeutung hat das, wo doch die Europäer und erst recht die Deutschen im großen, hässlichen Syrien-Spiel so gut wie keine Rolle spielen.

Überdies geht es eben nicht nur um Syrien. Nur wenige Monate ist es her, dass Trump die Allianz beim Nato-Gipfel mit der Drohung, die USA könnten "ihr eigenes Ding machen", in den Abgrund schauen ließ. Gute Worte von Kanzlerin Angela Merkel und ein paar Zahlentricksereien haben Trump besänftigt. Niemand aber kann mit Gewissheit sagen, ob dies auch beim nächsten Mal gelingt.

Solange Trump Präsident ist, bleiben die USA der militärisch mit riesigem Abstand stärkste, aber auch am wenigsten verlässliche Bündnispartner. Mit enormer Energie müsste nun der europäische Pfeiler im Bündnis gefestigt und die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union verbessert werden. Das würde sehr viel Geld erfordern und noch mehr politischen Willen. Zu sehen ist von beidem zu wenig. Es mag sein, dass Angst kein guter Ratgeber ist. Dumme Furchtlosigkeit ist es aber erst recht nicht.

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Quelle:
SZ vom 21.12.2018
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