Süddeutsche Zeitung

Impeachment:Knapper Freispruch für den Schuldigen

Lesezeit: 4 min

Trump sei "moralisch und praktisch" verantwortlich für den Sturm auf das Kapitol, sagt Mitch McConnell, Chef der Republikaner im Senat. Verurteilen wollte er ihn dennoch nicht. Dafür immerhin sieben andere Republikaner. Trump erklärt, er habe jetzt noch viel vor.

Von Thorsten Denkler, New York

Um 15.47 Uhr am Samstag in Washington ist klar, dass Donald Trump nicht vom Senat verurteilt werden wird, den Sturm auf das Kapitol am 6.Januar angezettelt zu haben. Der republikanische Senator Marco Rubio ist gerade nach seiner Stimme gefragt worden. "Nicht schuldig", sagt er. Der Zähler springt von 33 auf 34, genug Stimmen, um eine Verurteilung zu verhindern.

Das Ergebnis ist dennoch knapper als gedacht. 57 der 100 Senatoren stimmten letztlich für eine Verurteilung, 43 dagegen. Sieben Republikaner haben sich den Demokraten angeschlossen. Zehn Stimmen haben gefehlt zur nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit, um Trump zu verurteilen.

Das ist durchaus ein Erfolg für die Demokraten. Im ersten Impeachment-Verfahren gegen Trump vor einem Jahr war Mitt Romney der einzige Republikaner, der den Präsidenten für schuldig befunden hatte.

Das Impeachment, die Anklage wegen eines Amtsvergehens, ist kein Gerichtsprozess, sosehr sich das Prozedere daran orientieren mag. Es ist ein politisches Verfahren. Die Senatoren bleiben Republikaner auf der einen und Demokraten auf der anderen Seite, die ihre Partei und ihre politische Zukunft im Kopf haben. Und der Großteil der Republikaner hat sich entschlossen, eben nicht mit Trump zu brechen.

McConnell stimmt der Anklage voll zu

Unter ihnen ist auch ihr Führer im Senat, Mitch McConnell. Der hatte am Samstagmorgen seinen Kolleginnen und Kollegen per Brief mitgeteilt, dass er Trump nicht verurteilen werde. Das war nicht unbedingt überraschend. Aber manche hatten sich Hoffnung gemacht, dass McConnell sich gegen Trump stellt. Er hatte dem damaligen Präsidenten kurz nach dem Aufstand immerhin öffentlich vorgeworfen, den Aufstand "provoziert" zu haben.

Nach der Abstimmung meldete sich Mitch McConnell zu Wort: Er bleibe dabei, Trump sei "moralisch und praktisch verantwortlich" für den Sturm auf das Kapitol. Der damals mächtigste Mann der Welt habe seine Anhänger über Monate mit Lügen und Verschwörungsmärchen gefüttert. Das habe "vorhersehbar" zu diesem Ausbruch der Gewalt geführt. Und statt seine Anhänger umgehend aufzufordern, das Kapitol zu verlassen, habe Trump die Ereignisse offenbar "fröhlich" am Fernseher verfolgt. Die Angreifer seien "im Namen Trumps" vorgegangen. "Nur er", der Präsident, habe die Angreifer zurückhalten können. Niemand sonst.

McConnell hat sich damit die Argumentation der Anklage zu eigen gemacht. Dennoch hat er Trump für "nicht schuldig" erklärt. Weil er, wie er sagt, überzeugt sei, dass ein nicht mehr amtierender Präsident nicht vom Senat verurteilt werden dürfe. Immerhin gesteht er ein, dass das auch anders gesehen werden könne. Er respektiere jeden Republikaner, der sich anders entschieden habe.

Doch ist fraglich, ob es wirklich verfassungsrechtliche Bedenken sind, die viele Republikaner für den Ex-Präsidenten plädieren lassen. Zu groß ist die Angst vor einer Rache Trumps - der nun behaupten kann, vom Vorwurf freigesprochen worden zu sein, den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar angezettelt zu haben.

Allein der Umstand, dass Trump während des Angriffs offenbar über Stunden nichts unternommen hat, um den Angegriffenen zu Hilfe zu eilen, hätte nach Ansicht der Ankläger für eine Verurteilung reichen müssen. Am Freitag sind dazu verstörende neue Details ans Licht gekommen.

Es gab offenbar mehrere Versuche republikanischer Führer, mit Trump in Kontakt zu treten. Zu einem Zeitpunkt, als Trump klar gewesen sein muss, dass sein eigener Vize-Präsident in akuter Gefahr war, soll er einen Senator gedrängt haben, die für jenen Tag terminierte Zertifizierung des Wahlergebnisses weiter hinauszuzögern. Das schien ihm wichtiger gewesen zu sein als das Wohlergehen des Mannes, der ihm über vier Jahre treu zur Seite stand.

Kevin McCarthy, Chef der Republikaner im Abgeordnetenhaus, telefonierte in den Stunden des Aufstandes mit Trump. Er soll ihn angefleht haben, die Angreifer zurückzurufen. Trump habe ihm erklärt, das seien nicht seine Leute, das sei die Antifa, die gerade das Kapitol stürme. McCarthy widersprach. Trump daraufhin: "Nun, Kevin, ich schätze, dass diese Leute wütender über (den Ausgang) der Wahl sind als du." Überliefert ist das Telefonat von einer republikanischen Abgeordneten.

Trump erklärt sich wieder zum Opfer einer Hexenjagd

Die Ankläger haben in den vergangenen Tagen detailliert nachgezeichnet, wie Trump über Monate hinweg den Ausgang der Wahl als Betrug diskreditiert hat, sollte er nicht als Sieger daraus hervorgehen. Wie Trump seine Fans nach der Wahl mit der Lüge gefüttert hat, dass in Wahrheit er die Wahl "erdrutschgleich" gewonnen habe. Wie er letztlich, als alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft waren, seine Anhänger glauben gemacht hat, sie könnten am Tag der Zertifizierung das Wahlergebnis noch kippen, wenn sie nur zu seiner Kundgebung nach Washington kämen.

Und wie er letztlich die aufgebrachte Menge am 6. Januar zum Kapitol schickte, wo sie dann Scheiben einschlugen, Büros verwüsteten und die heiligen Hallen der US-Demokratie entweihten. Sieben Menschen verloren in Folge des Aufstandes ihr Leben, darunter Polizisten. Noch während des Aufruhrs teilte Trump seinen randalierenden Fans im Kapitol mit, sie seien "besondere Menschen", und er sagte: "Wir lieben euch."

Die Verteidigung hatte dem nicht viel entgegenzusetzen. Es sind Zivil- und Strafrechts-Anwälte der dritten Liga, die normalerweise alles vertreten von Schwerverbrechern mit Mafia-Verbindungen bis zu Truck-Fahrern, die einen Unfall hatten. Bessere Anwälte wollten offenbar nicht für Trump arbeiten. Trump habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, erklärten sie. Er habe lediglich von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht.

Außerdem dürfe der Senat keinen nicht mehr amtierenden Präsidenten verurteilen. Fast 200 angesehene Verfassungsrechtler aller politischen Lager hatten in einem gemeinsamen Brief dieser Haltung widersprochen. Und natürlich auch Jamie Raskin, der Wortführer der Anklage, demokratischer Abgeordneter und früherer Professor für Verfassungsrecht. Solange ein Präsident während seiner Amtszeit angeklagt werde, sei demnach ein Impeachment völlig legitim. Am Dienstag hatte der Senat diese Haltung mit Stimmen aus beiden Parteien gebilligt.

Trump kann das alles egal sein. Sollte er Pläne haben, 2024 wieder anzutreten, kann er das jetzt ungestört tun. Kurz nach der Entscheidung hat er eine Erklärung veröffentlicht, in der er den Prozess als "Hexenjagd" bezeichnet und sich wieder als Opfer darstellt. Kein Präsident habe angeblich "jemals" etwas Ähnliches durchmachen müssen. "Unsere historische, patriotische und schöne Bewegung, Amerika wieder großartig zu machen, hat gerade erst begonnen", schreibt er. Er verspricht, er habe in den kommenden Monaten vieles mitzuteilen und er freue sich darauf, "unsere unglaubliche gemeinsame Reise fortzusetzen".

Gut möglich, dass sich manche Republikaner schon bald wünschen, sie hätten Trump an diesem Samstag doch verurteilt.

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