Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Kohl will Ungarns Premier Orbán treffen

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Kohl schätzt den ungarischen Premier

Altkanzler Helmut Kohl will sich mit dem umstrittenen ungarischen Premier Viktor Orbán treffen, wie die Bild-Zeitung berichtet. Er ist der wohl entschiedenste Gegner Merkels in der europäischen Flüchtlingskrise. Schon der Besuch von CSU-Chef Horst Seehofer bei Orbán in Budapest Anfang März hatte für Unruhe im Merkel-Lager gesorgt. Dabei versicherten beide Politiker, sie betrieben mitnichten den Sturz der Kanzlerin.

Nun also Kohl, der sich nach langer Krankheit zurückmeldet. Zu den Umständen des geplanten Treffens äußerte sich der Altkanzler nicht. Es ist zu vermuten, dass der ungarische Premier Kohl in dessen Privathaus in Ludwigshafen-Oggersheim besuchen wird. Er schätze Orbán als "Europäer mit Herzblut", sagte Kohl der Bild-Zeitung. Auch sei er unglücklich über den aktuellen Zustand der europäischen Politik, schüttele nur den Kopf über den Konflikt zwischen CDU und CSU, wird seine Position beschrieben.

Diskussion um Merkel könnte neu entfacht werden

So kann man auch den Teil eines Buchbeitrags als durchaus brisant empfinden, den Kohl vorab zur Veröffentlichung freigegeben hat. Darin schreibt der "Ehrenbürger Europas": "Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem Einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören. Sie sollten im Europa des 21. Jahrhunderts kein Mittel der Wahl mehr sein, zumal die Folgen von der europäischen Schicksalsgemeinschaft regelmäßig gemeinsam getragen werden müssen." Der Text soll in einem Buch anlässlich der Verleihung des Aachener Karlspreises an Papst Franziskus Anfang Mai erscheinen.

Die vorab veröffentlichten Sätze lesen sich wie die häufiger aus Unionsreihen zu hörende Kritik an Angela Merkels Entscheidung vom 5. September vergangenen Jahres, als die Kanzlerin die Grenzen öffnen ließ, um in Ungarn festsitzende Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen. Bis heute wird dieser Tag von vielen in der Union als "einsame Entscheidung" und Beginn des Kontrollverlusts gegeißelt, während Merkel-Anhänger ihn als humanitäre Entscheidung verteidigen.

In Verbindung mit einem Treffen mit Orbán könnten Kohls Zeilen die nach dem jüngsten Brüsseler Flüchtlingsgipfel abgeebbte innerparteiliche Diskussion um Merkel erneut anfachen. Zwar will Kohl den Beitrag als Ausnahme verstanden sehen, lediglich der "Sorge um Europa geschuldet". Kohl ist jedoch immer noch politischer Profi genug, um zu wissen, dass er in der Flüchtlingskrise ein zumindest interpretierbares Zeichen setzt.

SPD: Kohl könnte auf Orban einwirken

Die SPD sieht das geplante Treffen als Chance in der Flüchtlingskrise. "Helmut Kohl ist ein überzeugter Europäer, der vielleicht positiv auf Orban einwirken kann", sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley der Nachrichtenagentur Dpa. Sie erwarte sich von dem Gespräch mehr als von den vorangegangenen Begegnungen zwischen Orban und CSU-Chef Horst Seehofer. "Horst Seehofer hat seine Treffen mit Orban lediglich benutzt, um sich innerparteilich von der Bundeskanzlerin und ihrer Flüchtlingspolitik abzusetzen", meinte Barley. Die SPD nimmt Kohl aber auch in die Pflicht: "Er muss die Gelegenheit auch nutzen, um mit Orban Klartext zu reden über die Presse- und Meinungsfreiheit in Ungarn und sein Verhalten in der Flüchtlingskrise."

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