Süddeutsche Zeitung

Syrien:Russland kann in Nahost keine funktionierende Staatenordnung schaffen

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Baschar al-Assad hat das Gemetzel in Aleppo dank seiner Helfer in Moskau und Teheran gewonnen. Doch was passiert jetzt?

Kommentar von Tomas Avenarius

Am Ende hat sich selbst der Papst an diesem Mann die Zähne ausgebissen. Der UN-Chef, Präsidenten, Premierminister, Diplomaten, Vertreter von Hilfeorganisationen, alle hatten den syrischen Machthaber aufgefordert, wenigstens in der Stunde des Sieges für Leib und Leben der Zivilisten in Aleppo zu garantieren. Keine Chance. Also schrieb Papst Franziskus in der Stunde höchster Not einen Brief. Er appellierte an Baschar al-Assad, doch bitte dafür zu sorgen, dass seine Truppen Frauen und Kinder schützen, Kriegsgefangene schonen, das Völkerrecht achten.

Als Antwort erschossen Assads Soldaten mehr als 80 Zivilisten, kaum dass sie in eines der gerade eroberten Stadtviertel Aleppos eingerückt waren; aus der Stadt Hama folgte die Nachricht von einem Giftgasangriff mit angeblich fast 100 Todesopfern. Von solchen Gräueln wird die Welt in den kommenden Wochen noch weit mehr hören, als ihr lieb sein kann.

Aleppo steht für die Teilung der syrischen Gesellschaft

Auf Großmut zu hoffen ist angesichts des Verlaufs dieses Bürgerkriegs vergeblich. Wer je einen Blick in "Codename Caesar" geworfen hat, das Buch über jenen Militärfotografen, der die makabre Aufgabe hatte, in den Assad-Verliesen die Leichen der zu Tode gefolterten Oppositionellen zu zählen und auf Formblättern zu dokumentieren, der ahnt, was die Aufständischen, ihre Familien und ihre wirklichen oder vermeintlichen Unterstützer erwartet. Helfen kann diesen Menschen keiner. Wer ehrlich ist, muss sich eingestehen, dass das Bild im Falle eines Sieges der Aufständischen möglicherweise sehr ähnlich gewesen wäre.

Die Niederlage der Aufständischen in Aleppo ist umfassend. Die Stadt war mehr als nur die wichtige Metropole, deren Ost-Hälfte sie kontrollierten. Das zwischen den Kriegsparteien geteilte Aleppo war auch Symbol dafür, dass der Aufstand gegen das jahrzehntealte Familienregime der Assads kaum zu etwas Besserem hätte führen können als Tod, Verderben und der Gewaltherrschaft bärtiger Dschihadisten. In Syrien stehen sich, wie eben in Aleppo, nicht Minderheit und Mehrheit gegenüber. Der Aufstand war nie der Aufstand einer überwältigenden Mehrheit gegen einen Diktator und seine Kamarilla. Syriens Gesellschaft war und ist geteilt, bis heute, mit oder ohne Assad.

Der Krieg wird mit dem Fall von Aleppo jedenfalls kaum enden. Die Rebellen werden ihre Taktik ändern, Autobomben und Heckenschützen einsetzen, einen Untergrundkrieg führen. Assad mag die Oberhand behalten. Ob er jemals wieder die Kontrolle über sein Land gewinnt, kann aber keiner wissen. Das Beispiel Irak hat gezeigt, wie ein arabischer Nationalstaat zum Hexenkessel wird, in dem Ethnien und Religionsgruppen sich wechselseitig abschlachten oder vertreiben und jedes Zusammenleben auf Jahrzehnte unmöglich machen. Assad hat mit dem Einsatz all der Milizen, die er in den Nachbarstaaten Libanon, Irak, Iran und Afghanistan rekrutiert hat, die Basis geschaffen für einen solchen Religionskrieg zwischen den rebellischen Sunniten und seinen eigenen schiitischen Helfern.

Bleibt die Frage nach Assads Unterstützern, den Russen, den Iranern. Ohne Moskaus Bomberflotte und Teherans Offiziere hätte Assad seinen Krieg längst verloren. Sie werden nun Mitsprache fordern, in Syrien und in der Region. Aber zeichnet sich deshalb schon eine neue Ordnung für den seit 2011 in seinen Grundfesten erschütterten Nahen Osten ab? Ist Russland nun der Sheriff, der die durch ihre Nahost-Kriege erschöpften USA nicht mehr sein wollen oder können?

Eher nein. Moskau hat weder die wirtschaftliche Potenz der USA noch deren eigentümliche Strahlkraft. Trotz allem arabischen und muslimischen Antiamerikanismus: Ordnungsmacht zu sein erfordert mehr als Bomben. Es erfordert eine irgendwie geartete Faszination - selbst wenn sie von Hamburgern und Popmusik ausgeht. Russlands Kriegsherr Wladimir Putin ist Realist, er weiß, dass sein Regime bestenfalls Despoten fasziniert. Außerdem will er zwar entscheidenden Einfluss in Nahost, aber keine Verpflichtung. Eine funktionierende Staatenordnung kann er weder schaffen noch garantieren. Er garantiert nur den Machterhalt.

Und Iran? Mag mächtiger geworden sein. Als "Islamische Republik" kann Teheran aber nie Ordnungsmacht in der Region werden. Die Schiiten sind eine religiöse Minderheit, als Perser bleiben sie die Ethno-Erzfeinde der Araber. Die Iraner können nun zwar laut mitreden. Aber sie können nie dauerhaft über die arabischen Sunniten bestimmen. Assad mag in Aleppo triumphieren, Moskau und Teheran mögen sich beglückwünschen. Für Syrien und den Nahen Osten aber ist mit diesem Sieg nicht viel gewonnen. Außer mehr Ungewissheit.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2016
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