Süddeutsche Zeitung

Svenja Schulze:Eher Nachdenkerin als Vordenkerin

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Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Das ungleiche Duo ist in der Düsseldorfer Kavalleriestraße, dem Sitz der einst großen Sozialdemokratie von Nordrhein-Westfalen, zuletzt regelmäßig zu beobachten gewesen: Während Mike Groschek, allzeit wortgewaltiger SPD-Landeschef, erst eifrig gegen, dann eilends für eine große Koalition agitierte, stand neben ihm stets dieselbe Frau. Svenja Schulze, die Generalsekretärin, blieb still, nickte - und lächelte. Jedes Mal, bis zur Schmerzgrenze. Sogar als Groschek sich zu der Metapher verstieg, er und Schulze seien "wie Callgirl und Callboy an vorderster Front" für die Partei unterwegs, bewies die Genossin Fassung. Das sei doch witzig, beteuerte sie.

Jetzt steht fest: Schulze wird Umweltministerin, zuständig auch für Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die 49-jährige Germanistin soll den Sozialdemokraten in der Ministerriege zu einem Neuanfang verhelfen. Zugleich verkörpert Schulze, was der SPD von Rhein und Ruhr als Einfluss am Kabinettstisch an der Spree bleibt. Dafür hat Groschek, ihr langjähriger Mentor, hart gekämpft.

Schulze mag den Ausdruck nicht, aber ab sofort zählt sie zu den "Trümmerfrauen" wie die designierte Parteichefin Andrea Nahles. Sie müssen die zerrüttete SPD wiederaufbauen. Schulze gilt als belastbar, als ebenso verlässliche wie umgängliche Kraft. Und diese langjährige Landtagsabgeordnete hat Regierungserfahrung, von 2010 bis 2017 leitete sie in Düsseldorf das Wissenschaftsministerium.

Als Qualifikation für ihr neues Fachressort verweist Schulze darauf, dass sie ihrer Fraktion einstmals als umweltpolitische Sprecherin diente. Das ist kein leichtes Amt für eine klimapolitisch halbwegs engagierte Genossin in einem Landesverband, der bis heute treu zur Kohle steht. Unter dem spröden Titel "Starke Wirtschaft - aktiver Klima- und Umweltschutz" findet sich auf Schulzes Website ein Opus zum sozial-ökologischen Umbau. Detailreich, voll geschliffener Kompromisse und mit dem Kunststück, nicht einmal das Reizwort "Braunkohle" zu erwähnen. Schulze beherrscht so clever wie pragmatisch das politische Handwerk. Als Visionärin profilierte sie sich nicht: "Sie gilt nicht als Vordenkerin, eher ist sie eine Nachdenkerin", sagt ein Düsseldorfer Insider.

Gelernt hat sie Politik als Beruf sehr früh. Im Alter von 28 Jahren kam Schulze 1997 als damals jüngste Abgeordnete in den Düsseldorfer Landtag. Zuvor hatte sie sich bereits als Schülersprecherin, als Asta-Vorsitzende an der Uni Bochum und als Landeschefin der Jusos erprobt. Seit jenen Jahren kennt Schulze das sozialdemokratische Milieu in NRW wie keine zweite.

Ihr Geschick muss Schulze auf dem Berliner Terrain neu beweisen

Nicht alles lief glatt in ihrer Karriere. Als junge Wissenschaftsministerin löste Schulze 2011 den "Atomkugel-Skandal" samt Untersuchungsausschuss aus, als sie per Antwort auf eine parlamentarische Anfrage Ängste schürte, hochradioaktive Brennelemente-Kugeln aus dem Kernforschungszentrum Jülich seien verschwunden oder in einem Forschungsbergwerk verschollen. Später stellte sich heraus, dass nichts fehlte.

Schulze galt damals als angezählt, doch die Genossen - allen voran Mike Groschek und die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft - hielten zu ihr. Schulze gewann Härte und Geschmeidigkeit, wie sie im nächsten Konflikt bewies: gegen den geballten Widerstand der Uni-Rektorate (und mit einigen Konzessionen) setzte sie eine Hochschulreform durch, die den Professoren mehr Transparenz etwa bei Forschungs-Sponsoring durch die Industrie abverlangte. Dass sie zugleich die Studiengebühren abschaffte, wertet Schulze bis heute als einen ihrer größten Erfolge.

Dieses Geschick muss Schulze nun auf dem weitgehend unbekannten Berliner Terrain erneut beweisen. Zu ihrem Amt wird gehören, einen Kompromiss über die umstrittene Verstromung klimaschädlicher Braunkohle zu moderieren. Auch muss die bekennende Atomkraft-Gegnerin mitentscheiden, ob Deutschland weiterhin angereichertes Uran aus Gronau an den "Bröckelreaktor" im belgischen Tihange liefert. Nur zwei von vielen heiklen Dossiers, die Schulze seit Freitag auf ihre Art angeht: mit Optimismus und einem Lächeln.

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