Süddeutsche Zeitung

Demografische Entwicklung:Generation Unfall

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Südkorea altert rasant - das wirkt sich auf die Verkehrsstatistik aus.

Von Thomas Hahn

Die Wahrheit des Alters ist hart, und Südkoreas Gesellschaft hat damit zu kämpfen. Im Dezember erfasste in Busan eine Person über 80 mit ihrem Auto eine Frau und deren Enkelin - beide starben. Davor hatte unter anderen ein 96-Jähriger Entsetzen verbreitet, der Anfang 2019 in Seoul seinen Sportwagen erst in eine Garagenwand steuerte und dann beim Zurücksetzen eine 30-jährige Frau tödlich verletzte. Die Tragödien bestätigen die Statistik: Südkorea fährt nicht mehr so sicher Auto wie früher. Die Debatte um die Alten im Straßenverkehr läuft schon lange, der Kampf um Lösungen geht weiter. Die Frage ist: Kann man die erfahrene Generation zur Vernunft zwingen?

Südkorea, der stolze Tigerstaat und Popkultur-Produzent, altert in rasantem Tempo. Die Bank of Korea erwartet, dass das Land 2045 Japan als älteste Gesellschaft der Welt ablösen wird. Laut Prognosen werden in drei Jahren 20 Prozent der 51 Millionen Koreanerinnen und Koreaner alt, also über 65 sein. Das Korea-Institut für Wirtschaftsforschung in Seoul warnt, dass Einheimische des Jahrgangs 1990 kein Geld mehr aus dem staatlichen Rentenfonds NPS bekommen, wenn dieser nicht sein Finanzierungssystem reformiere. Und die Unfallstatistik zeigt: Das Altern verändert den Alltag auch im Straßenverkehr.

Respekt vor dem Alter ist in Südkorea ein wichtiger Teil der konfuzianischen Tradition. Natürlich will niemand weniger Seniorinnen und Senioren oder diesen ihren Anspruch auf einen aktiven Lebensabend nehmen. Aber die Verkehrsdaten der Regierung sind fast schon so etwas wie ein Schrei nach Konsequenzen. 2016 verursachten Menschen über 65 noch 86 304 Autounfälle. 2020 waren es 114 795. Cho Joon-hwan, leitender Wissenschaftler am Samsung-Institut für Verkehrssicherheit, sagt auf der Seite der Nachrichtenagentur Yonhap: "Um mit einer überalterten Gesellschaft fertigzuwerden, sind maßgeschneiderte Maßnahmen für ältere Fahrer in Risikogruppen notwendig."

Daran arbeiten Südkoreas Behörden. Die Fristen zur Führerscheinerneuerung wurden für ältere Leute verkürzt. Es gibt sogar schon die staatliche Bitte an die Generation Ü65, den Führerschein freiwillig abzugeben. Manche Kommunen bieten im Gegenzug ein monatliches Fahrgeld von 100 000 Won (rund 73 Euro). Aber kaum jemand macht mit. Warum auch? Mit siebzig ist man ja nicht grundsätzlich zu alt zum Autofahren. Die Polizei hat deshalb einen neuen Plan: Von 2025 an will sie betagten Menschen eine bedingte Fahrerlaubnis ausstellen, wie es sie jetzt schon für Personen mit Behinderung gibt. Damit könnten sie weiterfahren - aber eben nur im Rahmen ihrer Fähigkeiten, also etwa nicht nachts oder nicht auf der Autobahn. Laut Yonhap will die Polizei 3,6 Milliarden Won, etwa 2,64 Millionen Euro, in einen speziellen virtuellen Test zur Fahrtauglichkeit investieren.

Südkorea wäre nicht Südkorea, wenn es im Kampf um mehr Alters-Verkehrssicherheit nicht auch auf den Fortschritt der Gegenwart setzen würde. Moderne Bord-Computer können schon jetzt vor Gefahren warnen oder auch mal die Bremse betätigen. Und irgendwann soll das Auto ja ohnehin selbst fahren - was dann vielleicht neue Probleme bringt. Wenn sich besorgte Enkel zum Beispiel fragen, wo der Wagen mit den Großeltern hin ist.

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