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Bundesverfassungsgericht:Stephan Harbarth soll Andreas Voßkuhle ablösen

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Von Nico Fried und Robert Roßmann, Berlin

Am Donnerstag hatte Stephan Harbarth noch einen großen Auftritt im Bundestag. In der teils heftigen Debatte um den Migrationspakt der Vereinten Nationen verteidigte er als erster Redner der großen Koalition die Haltung der Bundesregierung, den völkerrechtlichen Vertrag demnächst zu unterschreiben. Es war eine engagierte Rede des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union - womöglich schon beflügelt vom Wissen über einen bevorstehenden Karrieresprung.

Harbarth, 46, soll neuer Richter am Bundesverfassungsgericht werden. Und nicht nur das: Der gebürtige Heidelberger würde im benachbarten Karlsruhe auf den Platz des im Juni ausgeschiedenen Vizepräsidenten Ferdinand Kirchhof rücken - nach der Tradition des höchsten deutschen Gerichts wäre er damit auch designiert, den derzeitigen Präsidenten Andreas Voßkuhle zu beerben. Der Chefposten rotiert in zwei Jahren wieder vom Vorsitzenden des Zweiten Senats zum Kollegen im Ersten Senat, also nach Lage der Dinge zu Harbarth.

Allerdings muss Harbarth formal noch gewählt werden. Im Bundestag braucht er eine Zwei-Drittel-Mehrheit, also 473 von insgesamt 709 Stimmen. Die Koalition verfügt zusammen aber nur über 399 Stimmen. Mithin bedarf Harbarth auch der Zustimmung aus Teilen der Opposition. Die Nominierung Harbarths, über die am Freitag zuerst die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, war deshalb von der Spitze der Unionsfraktion, die nach einem Proporzverfahren für diesen Posten das Vorschlagsrecht hat, und vermutlich auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Grünen und FDP abgestimmt. Beide Fraktionen tragen die Entscheidung mit. Da er Vizepräsident werden soll, muss auch der Bundesrat seiner Ernennung zustimmen.

Die 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat bestimmt. Lange Zeit wurden die acht vom Bundestag zu berufenden Richter von einem zwölfköpfigen Wahlausschuss direkt gewählt. Erst vor gut drei Jahren beschloss das Parlament eine Reform, wonach das Plenum der Wahl des Ausschusses zustimmen muss.

Die Suche nach einem Nachfolger Kirchhofs hatte sich verzögert, weil die Union nach dem angekündigten Wechsel an der Spitze und wegen der Landtagswahlen in Bayern und Hessen offenkundig nicht entscheidungsfähig war. Lange Zeit galt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium Günter Krings als Favorit auf den Posten. Möglicherweise erhielt Harbarth aber leichter die Zustimmung der Oppositionsfraktionen.

Harbarth, katholisch, verheiratet und Vater dreier Kinder, hat in Heidelberg Jura studiert, sein Referendariat in Berlin absolviert und auch in den USA, an der renommierten Yale-University im Bundesstaat Connecticut, einen Abschluss erworben. Er arbeitete zunächst als Anwalt in Mannheim, von 2008 an als Vorstand der Kanzlei "SZA Schilling, Zutt & Anschütz". 2009 zog Harbarth erstmals als direkt gewählter Abgeordneter in den Bundestag ein.

Für Diskussionen sorgte Harbarth, als seine Kanzlei 2015 von Volkswagen mandatiert wurde, um dem Konzern in der Abgasaffäre zu helfen. Mit Harbarths Stimme wurde dieses Thema im Oktober 2015 in einer Sitzung des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz von der Tagesordnung genommen. Die Linke forderte daraufhin vom Bundestagspräsidium eine Prüfung, ob in einem solchen Fall der möglichen Befangenheit ein Abgeordneter nicht von der Abstimmung ausgeschlossen werden müsse. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lehnte dies ab.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2018
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