Süddeutsche Zeitung

Bundeshaushalt:Da steckt viel SPD drin

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Von Cerstin Gammelin, Berlin

Es gibt Ungewöhnliches zu sehen an diesem Dienstag im Bundestag, dem ersten Tag der traditionellen Haushaltswoche nach der Sommerpause. Es geht mal nicht um Horst Seehofer, sondern um Sachliches: Arbeit, Rente, Digitales, Straßen, Steuern, Kindergeld. Auffällig ist auch, wie routiniert die übrigen Fraktionen mit der AfD umgehen. Oder wie Kanzlerin Angela Merkel spontan ihre jüngste Ministerin zur Seite nimmt und mit ihr Zahlenreihen durchgeht, nachdem ein Redner Franziska Giffey und ihr Gute-Kita-Gesetz angegriffen hatte. Es hat den Anschein, als sei es möglich, ganz normal zu regieren.

Die Sitzung beginnt damit, dass Olaf Scholz warten muss. Der Bundesfinanzminister sollte um 10.05 Uhr beginnen, den Bundeshaushalt fürs kommende Jahr vorzustellen. Es ist ein Rekordetat: 356,8 Milliarden Euro. Es ist das erste Budget, das der SPD-Minister selbst geplant hat, und es ist, wie sich später herausstellt, bemerkenswert sozialdemokratisch ausgerichtet. Bevor Scholz reden darf, hat allerdings Wolfgang Schäuble Dringendes zu sagen.

AfD verwechselt Bundespräsidenten und Bundestagspräsidenten

Der Bundestagspräsident, der Scholz' Vorgänger im Amt ist, hat die Tagesordnung geändert. Schäuble redet über die Ereignisse von Chemnitz und Köthen, er appelliert an alle, für den Zusammenhalt der Gesellschaft einzutreten. "Wir brauchen keine Revolution, sondern einen starken und toleranten Rechtsstaat." Danach muss er über einen Antrag der AfD abstimmen lassen. Michael Grosse-Brömer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, redet nach dem Antragsteller und weist auf einen gravierenden Fehler hin: Die AfD hat darin den Bundestagspräsidenten statt den Bundespräsidenten genannt. "Der Antrag der AfD ist mit den Stimmen der anderen Fraktionen abgelehnt", fasst Schäuble später die Handzeichen zusammen. Die Ansage wirkt in ihrer Schlichtheit beruhigend.

Dann ist Scholz dran; der Finanzminister und Vizekanzler, der sich viel vorgenommen hat, persönlich und für die SPD - der aber immer wieder hört, dass er sich zu wenig Mühe gibt, sozialdemokratische Politik einfach zu erklären. Am Dienstag aber stellt sich, nachdem Scholz 35 Minuten geredet hat, eine andere Frage: Warum dümpelt die SPD bei 18 Prozent in den Umfragen - bei so viel SPD im Regierungsprogramm?

Scholz hat in den vergangenen Monaten viel Zeit damit verbracht, rechtsnationale Parteien zu analysieren. Er ist zu dem Schluss gekommen, dass sie zwar von der Angst der Bürger vor Zuwanderung profitieren, dass sie aber auch Wähler gewinnen, indem sie soziale Leistungen versprechen, die ihnen angeblich vorenthalten werden. Dieses Argument will Scholz über seine Finanzpolitik entkräften helfen. Dafür legt er an diesem Dienstag eine für seine Verhältnisse emotionale Rede hin. Er spricht über Zuversicht und darüber, dass man die braucht, um Probleme anzupacken und nicht achselzuckend davor zu verharren.

Ein Drittel der Zeit widmet er dem sozialen Zusammenhalt. Den Kitt, der die Menschen zusammenhalten soll, mischt Scholz aus Familienpaket, Rentenpakt, Gute-Kita-Gesetz, sinkenden Sozialbeiträgen, Bildung, Qualifizierung, Wohnungsbau, Internet und Sicherheit. Es fällt auf, dass die große Koalition doch schon einige Gesetze auf den Weg gebracht hat, was in der Aufregung über die Einlassungen des Innenministers fast vergessen wird.

Seehofer lächelt zufrieden

Der Bundesfinanzminister sagt auch, dass die SPD über den Haushalt hinaus denkt. Bis neue Wohnungen gebaut seien, dürften die Mietpreise nicht weiter explodieren; weshalb die SPD einen Mieten-Stopp will. Als Scholz davon spricht, der Bundespolizei viele neue Stellen zu finanzieren, bestehende Jobs bei den Sicherheitsbehörden zu entfristen und die IT zu modernisieren, sieht man den Innenminister zufrieden lächeln. Mit Wohlwollen wird er auch das Versprechen betrachten, das der Finanzminister danach abliefert. Scholz will noch in diesem Jahr einen Gesetzesvorschlag abliefern, wie die Grundsteuer reformiert werden kann, ohne dass die Gemeinden ihre Einnahmen daraus verlieren oder es zu groben Steuererhöhungen kommt. Scholz braucht Seehofer, um die neue Grundsteuer durchzubringen.

Die Union müht sich, den Restschmerz zu unterdrücken, den sie nach dem Verlust des Bundesfinanzministeriums noch verspürt. "Unterm Strich ist der Bundeshaushalt 2019 solide und seriös", sagt Haushälter Eckhardt Rehberg. Mehr Sorge als ein SPD-Finanzminister, auch das ist bemerkenswert, bereitet der Union der Umstand, dass die Bundesländer immer mehr Geld vom Bund fordern, obwohl sie selbst Überschüsse erwirtschaften.

Die Opposition findet, die Schwerpunkte im Etat seien falsch gesetzt. Scholz sei ein "kluger und fleißiger Mann", sagt FDP-Haushälter Otto Fricke. Trotzdem verzichte er darauf, Subventionen abzubauen. Die Grüne Anja Hajduk kritisiert Scholz als zu zaghaft: Er wage keine Reformen, weder in der Landwirtschaft noch beim Klimaschutz oder im Steuersystem. Und die AfD? Deren Haushaltsexperte Peter Boehringer summiert den Haushalt als "unvollendetes Nebelkunstwerk". Nach inhaltlicher Kritik klingt das nicht. Bis Weihnachten soll das Haushaltsgesetz beschlossen sein und am 1. Januar 2019 in Kraft treten.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2018
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