Süddeutsche Zeitung

Wohnungspolitik:Die SPD zeigt wenig Mut beim Wohnen

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Von Mike Szymanski, Frankfurt

Vor dem Haus von Marianne Ried im Frankfurter Ostend haben die Bauarbeiter ein Schild aufgestellt. "Perfektion und Exklusivität" steht darauf. Hier werden Wohnträume verkauft, 60 Quadratmeter ab 300 000 Euro. Seit bald fünf Jahren ist das Haus eine große Baustelle, mittlerweile eingerüstet von außen und staubig von innen. Niemand weiß so recht, wie lange dieser Zustand noch anhält. Denn hier treffen neue Eigentümer auf alte Mieter. Auch die haben Schilder aufgestellt: "Wir bleiben!" An einer der Wohnungstüren hängt ein Aufkleber: "I love Zuhause" - mit einem knallroten Herz in der Mitte.

Marianne Ried ist 83 und, wenn man so will, die Mutter, wenn nicht gar die Oma des Widerstands. Seit 59 Jahren lebt sie in diesem Haus. Sie hat miterlebt, wie Investoren in ihrem Viertel erst nach den schönen Altbauten griffen und dann nach den schmucklosen Fünfzigerjahrekästen. Sie will nicht mitmachen bei dem Mietwahnsinn, der in den Ballungsräumen das Wohnen für viele - gerade auch für Ältere wie sie - unbezahlbar macht. Nachbarn und Freunde hat sie um ihren Wohnzimmertisch mit Streuselkuchen und Kaffee versammelt. Den Platz am Kopf der Tafel bekommt SPD-Chefin Andrea Nahles.

Duschen bei den Nachbarn und keine Heizung im Winter

Nahles will von Menschen wie Marianne Ried erfahren, was sie in Berlin für sie tun kann. Marianne Ried reicht den Kuchen rüber und die Klage: 5000 Euro pro Quadratmeter. Wer könne sich das denn leisten? Bei Nahles daheim, in der Eifel, gehe der Quadratmeter teils für 25 Euro weg, erzählt die SPD-Chefin. Hier werde gerade richtig Geld gemacht. Dafür müssten die Altmieter weichen. Sie würden raussaniert. Marianne Ried berichtet davon, wie im Winter die Heizung und das Wasser abgestellt worden seien oder sie zum Duschen zu Nachbarn habe gehen müssen. Seit fünf Jahren gehe das so, Sanierungsstress pur. Die SPD hat versprochen, dagegen härter vorzugehen. Nahles sagt: "Dafür sorge ich schon. Keine Angst."

Es sind große Ferien. Das ist die Zeit, in der Bundespolitiker gerne zu ihren "Sommerreisen" aufbrechen, Arbeitsbesuche, bei denen sie sich - begleitet von Journalisten - im Land anhören, wo der Schuh drückt. Nahles sagt, für sie vervollständige sich das Bild der Lage. Sie kennt die Zahlen, die Statistiken. An diesem Tag kommt das echte Leben einer alten Frau auf einer Dauerbaustelle hinzu, in deren Wohnung nicht einmal mehr die Klingel geht.

In und um Frankfurt fehlen 30 000 Wohnungen. Im Oktober wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt und die SPD macht sich nach 19 Jahren in der Opposition Hoffnung, an die Regierung zu kommen: Eines der großen Themen im Wahlkampf ist bezahlbares Wohnen. Die SPD soll wieder stärker "Stimme für die Alltagssorgen der Leute" sein, sagt Nahles.

Die Sozialdemokraten tun sich schwer mit ihren Positionen, gerade beim Mieterschutz

Wie wenig die Partei dieser Rolle in der Vergangenheit gerecht geworden ist, zeigt sich im Wohnzimmer von Marianne Ried. Der SPD-Lokalpolitiker Sieghard Pawlik ist auch gekommen. Er ist Vorsitzender des Mieterbundes Hoechster Wohnen und ärgert sich, dass seine Partei im Bund nicht schon viel früher voll in das Thema eingestiegen ist. Was die SPD später im Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat - mehr sozialer Wohnungsbau, Stärkung der Mieterrechte - genügt ihm nicht. "Wir wollen mehr." Und Rentnerin Ried sagt: "Die Politik rennt dem Karren hinterher."

Obwohl die SPD bezahlbares Wohnen zur neuen großen sozialen Frage erklärt hat, kommt sie bei der Lösung des Problems allenfalls in Trippelschritten voran. Gerade erst hat Justizministerin Katarina Barley (SPD) den Entwurf zur Reform der Mietpreisbremse vorgelegt. Sie will unter anderem den Anstieg der Mieten begrenzen, wenn Wohnungen und Häuser modernisiert werde und für mehr Transparenz bei den Preisen sorgen. Auf Drängen der SPD kam diese Forderung überhaupt in den Koalitionsvertrag. Aber schon sollen wieder Ausnahmen gelten. Wirklich mutig wirkt nicht, was die SPD bisher durchgesetzt hat. Auch Nahles weiß, dass mehr kommen muss.

Im Herbst hat die SPD neben der Landtagswahl in Hessen auch jene in Bayern zu bestehen. Dort sieht es für die Partei besonders trüb aus. Sie muss befürchten, von der rechtspopulistischen AfD überholt zu werden. Manche Umfragen sehen die Bayern-SPD bei nur noch zwölf Prozent. Die Spitzenkandidatin Natascha Kohnen setzt stark auf das Thema Wohnen - wie die SPD in Hessen.

Bei den beiden wichtigen Landtagswahlen muss vor allem Nahles unter Beweis stellen, dass die SPD unter ihrer Führung wieder an Konturen gewinnt. Die Lage der SPD in Bayern wird im Willy-Brandt-Haus als dramatisch schlecht angesehen. In Hessen dagegen ist sie nur kompliziert: Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel verfolgt im Umgang mit seinem Gegner, dem Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU), die Strategie: "Er oder ich". Den Umfragen zufolge könnte es aus Mangel an Alternativen bei der Regierungsbildung auf eine große Koalition hinauslaufen - mit der SPD als Juniorpartner. Wie schwer sich die Sozialdemokraten aber damit tun, ihre Positionen umzusetzen, gerade zum Mieterschutz, lässt sich in Berlin studieren.

Gut möglich, dass Nahles nach der Sommerpause in die Offensive geht. Sie will stärker an die Spekulationsgewinne ran. Sie will an die Grundsteuer ran. Marianne Ried sagt zum Abschied, Nahles könne gerne wieder vorbeikommen. Bei der Frankfurterin steht Nahles jetzt im Wort.

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Quelle:
SZ vom 27.07.2018
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