Süddeutsche Zeitung

Sharo Garip:Noch ein deutscher Angeklagter darf die Türkei verlassen

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Von Luisa Seeling, München

Er fühle sich "diskriminiert, erniedrigt und entwürdigt", hatte Sharo Garip kurz vor Beginn des Verfahrens gesagt. Und dass er endlich nach Hause wolle, dass er sich fühle wie in einem "Freiluftgefängnis". Fast zwei Jahre saß der 51-Jährige in der Türkei fest, durfte nicht arbeiten, konnte nur warten auf seinen Gerichtstermin.

An diesem Dienstag ist der Wunsch des türkeistämmigen Soziologen in Erfüllung gegangen: Das Istanbuler Gericht hob gleich zum Prozessauftakt die Anfang 2016 gegen ihn verhängte Ausreisesperre auf, Garip darf nach Köln zurückkehren. "Ein tolles Gefühl, wieder nach Hause gehen zu dürfen", sagte er nach dem Gerichtsentscheid. So schnell wie möglich will er nun ausreisen.

Garip hat kurdische Wurzeln, besaß aber nur noch die deutsche Staatsbürgerschaft, die türkische gab er vor vielen Jahren auf. Seit 2012 hielt er sich in der Türkei auf, dort hatte er nach seiner Promotion einen Lehrauftrag an der Universität von Van in der Osttürkei angenommen. Anfang 2016 schloss er sich der Online-Petition "Akademiker für den Frieden" an, die fast 2000 Wissenschaftler unterzeichnet hatten. Der Aufruf verlangte ein Ende der Militärgewalt im Südosten der Türkei und eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen in dem Konflikt.

Selbst seine Anwältin habe zeitweise nicht gewusst, was man ihm vorwerfe

Die Regierung deklarierte den Appell als terroristische Propaganda, viele der Unterzeichner verloren in der Folge ihren Job, etliche wurden vor Gericht gestellt. Sharo Garip musste eine Nacht im Gefängnis verbringen, er verlor seinen Lehrauftrag; in der Folge hing er in der Luft, durfte weder arbeiten noch ausreisen, seinen Lebensunterhalt konnte er nur dank der deutschen Sozialhilfe bestreiten.

Anklage wurde erst Anfang Dezember erhoben, davor habe es variierende Vorwürfe gegeben, mal sei es um "Beleidigung des Türkentums" gegangen, später dann um Terrorpropaganda, erzählte Garip, selbst seine Anwältin habe zeitweise nicht gewusst, was man ihm vorwerfe. Die Bundesregierung bemühte sich lange, die Ausreisesperre gegen den Kölner Soziologen aufheben zu lassen - ohne Erfolg. "Diplomatie und Politik in Deutschland sind gescheitert in meinem Fall", sagte Garip. Der Prozess gegen ihn wird am 26. Februar fortgesetzt.

Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes sitzen derzeit - Garip nicht mitgezählt - noch 27 deutsche Staatsbürger in der Türkei fest, weil gegen sie aus politischen Gründen eine Ausreisesperre verhängt wurde. Zudem sitzen noch immer mehrere Deutsche in türkischer Haft, unter anderem der Welt-Korrespondent Deniz Yücel, der beide Staatsbürgerschaften besitzt.

Am Montag war die Journalistin und Übersetzerin Meşale Tolu, auch sie deutsche Staatsbürgerin, nach sieben Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Ausreisen darf sie vorläufig nicht.

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Quelle:
SZ vom 20.12.2017
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