Süddeutsche Zeitung

Sex-Tourismus zur Fußball-EM:"Die wollen ein Bordell aus der Ukraine machen"

Lesezeit: 3 min

Nackte Brüste sind ihre Waffe: Die ukrainischen Feministinnen der Gruppierung "Femen" kämpfen mit schrillen Aktionen gegen Prostitution und Menschenhandel. Ihr größter Feind heißt derzeit Fußball. Sie fürchten, die EM könnte Tausende Sportfans ins Land spülen, die sich an ukrainischen Frauen und Kindern vergehen.

Cathrin Kahlweit

Auf dem Foto ist im Wesentlichen eine barbusige Frau zu sehen, die sich als Penis verkleidet hat. Auf ihrer Website erläutern die Frauen, die da zwischen den Blumen stehen, ihre Botschaft etwas präziser: "Am 31. Mai um zehn Uhr morgens hat Femen eine Penis-Attacke auf das EM-Beet verübt, das die Maskottchen der Fußball-EM, Slavek und Slavko, darstellt." Femen-Aktivistinnen wollten, heißt es dort, auch weiter mit Sex-Attacken gegen den Wettbewerb protestieren. "Wir fordern alle Ukrainer auf, Frauen und Kinder während der Europameisterschaft vor den aufgerichteten Penissen von Sex-Touristen und Pädophilen zu verstecken."

Eindeutige Aktionen und klare Worte, vor allem aber nackte Brüste sind die Waffen der ukrainischen Feministinnen, die seit 2008 unter dem Namen Femen Furore machen. Sie protestieren gegen Prostitution, Menschenhandel und Sex-Tourismus; der aktuelle Feind Nummer eins aber heißt Fußball. Vor allem die Europameisterschaft, fürchtet die Gruppe, werde in den nächsten vier Wochen Tausende Fußballfans ins Land spülen, die sich an ukrainischen Frauen und Kindern vergehen würde.

Deshalb machen die meist jungen und in der Regel außerordentlich hübschen Frauen mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam, so auch am 24. Mai, eine Woche vor der Blumenbeet-Attacke: In Lemberg wird der EM-Pokal ausgestellt, eine Schlange von Bewunderern hat sich vor dem Podest aufgereiht, plötzlich stürzt eine junge Frau nach vorn, reißt sich ihr T-Shirt vom Leib und versucht, den Pokal vom Sockel zu werfen. Polizisten überwältigen die Blondine, wickeln sie wie ein Paket in blaues Tuch und tragen sie davon. Der Lohn für die kurze Aktion: ein paar Tage Haft.

Die ukrainischen Behörden wollen die Feministinnen nicht als politische Gruppierung anerkennen, stattdessen landen die Frauen regelmäßig wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" im Gefängnis. Oksana Schewtschenko von Femen erklärt die Pokal-Attacke so: "Dieser Pokal sollte nicht als Phallus-Symbol präsentiert werden." Die Uefa stecke mit der Ukraine unter einer Decke, ruft Schewtschenko in die staunende Menge, "die wollen ein Bordell aus der Ukraine machen und so das Geld zurückverdienen, das sie in unser Land stecken".

Manch einer mag diese Argumentation ein wenig krude finden, wie Femen überhaupt viele Kritiker hat - auch unter weiblichen Sympathisantinnen. Denn was die einen als effektive Methode anerkennen, um Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken, das sonst vor allem auf internationalen Konferenzen und in Polizeiberichten Niederschlag findet, das empfinden andere als Selbstprostitution. Die Femen-Frauen rund um Gründerin Anna Hutsol stört das wenig. Sie habe keine typisch feministische Organisation gründen wollen, sagte Hutsol dem Spiegel. "Ich wollte nicht, dass Frauen reden, reden, reden, die Jahre vergehen und nichts passiert." Die Frauenbewegung habe "mehr Extremismus" gebraucht.

Nachahmer in Westeuropa, in den USA, Nordafrika und Lateinamerika

Das hat geklappt. Und Femen hat Nachahmerinnen gefunden, in Westeuropa, in den USA, Nordafrika und Lateinamerika. Und wenn ihnen die Landesgrenzen zu eng sind, machen die Ukrainerinnen auch selbst anderswo auf sich aufmerksam. Im vergangenen Herbst protestierten Femen-Aktivistinnen, als Zimmermädchen verkleidet, in Paris vor der Haustür von Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn, und auch nach Russland zu den Protesten gegen Wahlfälscher und Macho Wladimir Putin zog es die jungen Frauen. Die weißrussische Diktatur, gegen die Femen in Minsk demonstrierte, reagierte auf die nackten Brüste und die Regimekritik mit besonderer Brutalität: Einige Frauen wurden von der Miliz in einen Wald gefahren, dort misshandelt, mit dem Tod bedroht und schließlich nackt ausgesetzt.

Bisweilen tritt das eigentliche Thema der Frauen dabei in den Hintergrund. Frauenhandel nimmt in der Ukraine seit Jahren stetig zu, auch als Transitland für Menschenhandel gewinnt das Land an Bedeutung. Aktuelle Statistiken sprechen von bis zu 100.000 Frauen, die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs als Prostituierte gen Westen verschleppt wurden. Viele Frauen lassen sich aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Not auf falsche Versprechungen ein; Schlepper locken sie mit fingierten Jobs oder Heiratsangeboten.

Im Land selbst ist Prostitution mittlerweile ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Sex-Leistungen kosten ein Zehntel dessen, was ein Bordellbesucher in Deutschland bezahlt. Touristen werden ab dem Grenzübertritt mit schriller Werbung und bunter Leuchtreklame in Clubs und Absteigen gelockt, die HIV-Infektionsraten sind die höchsten in Europa, und überall verdient die Mafia mit. Die mutigen Feministinnen von Femen mit ihren plakativen Aktionen wirken da bisweilen eher wie eine unterhaltsame Dreingabe.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1377242
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.06.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.