Süddeutsche Zeitung

Wie die Welt erzählt wird:Metaphern im Weltraum

Lesezeit: 4 min

Serien der Generation "House of Cards" sollten Macht, Politik oder Terror mit Mitteln des Fernsehens erklären - und wurden von der Wirklichkeit überholt. Vor ihr scheint die Fiktion nun zurückzuschaudern.

Von Nicolas Freund

Die Bedrohungen sind abstrakter geworden. Bis vor Kurzem ging es in politischen Fernsehserien um dieselben Themen wie in den Abendnachrichten: den intriganten russischen Präsidenten und die politische Konkurrenz ("House of Cards"), arabische Terroristen ("Fauda") oder Islamisten und Schläfer in den eigenen Reihen ("Homeland"). Das war aber aufregender als die Nachrichten, weil Gut und Böse in den Serien nicht immer eindeutig zugeordnet waren. Auch der fieseste Terrorist hatte menschliche Beweggründe, und selbst die tapferste Antiterroreinheit, die gerissenste CIA-Agentin und der einnehmendste Politiker ließen sich zu Gesetzesbruch und Gewalt hinreißen, um ihre Ziele zu erreichen.

Es ging in diesen Serien um die Frage, wozu Staat und Gesellschaft bereit sind, um eine Bedrohung wie internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Das traf einen Nerv, weil genau das den Westen in den Jahren nach dem 11. September 2001, nach der Erklärung des "War on Terror" und den Bildern aus dem US-Foltergefängnis von Abu Ghraib im Irak beschäftigte: Wie konnte es passieren, dass wir im Kampf gegen den Terror selbst Monster geworden waren?

Der Anspruch dieser Serien war nicht weniger, als die Welt mit den Mitteln des Fernsehens zu erklären. Nicht umsonst galt die Serie in jener Zeit als der neue Gesellschaftsroman. Die Autoren und Schauspieler von "Fauda" etwa kannten sich aus der israelischen Armee, sie wussten, wie eine Antiterroreinheit funktioniert, wie ihre Gegenspieler denken, welche Konflikte in dem Katz-und-Maus-Spiel lauern und wie man sie für das Fernsehen auf den Punkt bringt. Klar, das wirkte überzeichnet, wie eine Karikatur der Wirklichkeit, aber darum ging es: immer einen Schritt voraus zu sein, eine Entwicklung weiter gedacht zu haben. Diese Serien erzählten Sicherheitspolitik, wie sie nie zuvor erzählt worden war: faktenbasiert, wie aus dem Politikseminar, am Puls der Zeit und superkonzentriert. Hyperrealistisch, echter als die Wirklichkeit.

Sind die Serienautoren von Schockstarre erfasst?

Das hatte aber seine dunklen Seiten, denn nicht selten schien die Wirklichkeit den Serienbildern zu folgen: Es gibt Propagandavideos der Taliban aus dieser Zeit, die inszeniert sind, als wären sie einer "Homeland"-Folge entnommen. In Italien wurde die Mafia-Serie "Gomorrha" nach Roberto Savianos Büchern kritisiert, die durchgestylte Inszenierung liefere Blaupausen und Motivation für Kriminelle. "Homeland" wurde Rassismus und ein klischeehaftes Islambild vorgeworfen, was kaum verwundert, schließlich trug der Kampf gegen den Terror, den die Serie thematisiert, selbst mehr als nur rassistische Züge. Immerhin: Ein so skrupelloser, selbstsüchtiger Präsident, wie ihn Kevin Spacey in "House of Cards" spielte, erschien kaum vorstellbar - bis Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten gewählt wurde.

Nun war da ein echter Politiker, der Intrigen und hinterhältige Schachzüge der Figuren in "House of Cards" geradezu harmlos aussehen ließ. Mit dem IS kam eine Terrororganisation, deren Brutalität sogar al-Qaida in den Schatten stellte, und russische Trollfabriken produzieren nun Desinformationskampagnen, die vor wenigen Jahren undenkbar waren. Die Wirklichkeit hatte diese eben noch überzeichneten Serien nicht nur überholt, sie hatte sie überrundet.

"House of Cards" ist vorbei, "Homeland" auch, "Fauda" pausiert, soll aber in eine vierte Staffel gehen. Andere politische Serien dieses Formats sind nicht in Sicht. Als hätte die Serienautoren eine Schockstarre erfasst angesichts der sich rasend entwickelnden Gegenwart.

Die Bedrohung, auf die sich gerade alle einigen können, ist vielleicht deshalb einfach ein Stein. Die zynische Klimawandel-Allegorie "Don't Look Up" über einen drohenden Asteroideneinschlag auf der Erde ist der derzeit wohl am meisten diskutierte Film bei Netflix, und im Kino lässt gerade Roland Emmerich den Mond auf die Erde stürzen. Auch andere (sicherheitspolitische) Themen wurden vermehrt in den Weltraum ausgelagert. Die nun zu Ende gegangene Science-Fiction-Reihe "The Expanse" halten viele für die interessanteste politische Serie seit Jahren: Es geht um unser Sonnensystem in einer nahen Zukunft. Mars und Asteroidengürtel sind kolonisiert, aber zwischen den privilegierten Bewohnern der Erde und den neuen Arbeitern des Weltalls entbrennt erbitterter Streit um Ressourcen und Anerkennung. Marxismus im 22. Jahrhundert.

Politik und Unterhaltung getrennt - das verlangt ein Teil des Publikums

Noch abstrakter wird es in der Serie "Foundation" nach Romanen Isaac Asimovs. Darin hat in ferner Zukunft ein Mathematiker das Ende des galaktischen Imperiums errechnet, und während versucht wird, das Reich zusammenzuhalten, bemüht sich eine Forschungsorganisation um Schadensbegrenzung, sie will das Wissen der Galaxie retten. In beiden Serien geht es um Terrorismus, wirtschaftlich-soziale Fragen und den Umgang mit einer drohenden Katastrophe wie dem Klimawandel. Aktuelle Themen - warum muss man sie in die Zukunft verlegen? Wo bleibt die Serie über den Klimawandel, die es wagt, ihn zu benennen?

Gerade in den USA fordern seit einiger Zeit Teile des Publikums die strikte Trennung von Politik und Unterhaltung, und schon die Besetzung der Hauptrolle mit einer schwarzen Frau wird als "politisch" ausgelegt. Auch die Zusammenarbeit von Netflix mit Michelle und Barack Obama brachte viele Trump-Anhänger gegen den Streamingdienst auf. Benennt eine Fernsehserie heute politische Themen klar, läuft sie Gefahr, große Teile des Publikums zu vergraulen. Und das kann sich in den harten Konkurrenzkämpfen zwischen Streamingdiensten niemand mehr leisten. Also wird alles ins All verlegt, oder man findet Metaphern für die Themen, die zu nennen man sich nicht traut. Serien und Filme schrecken heute zurück vor der Wirklichkeit, die sie einmal erklären und mitgestalten wollten.

Wagen es Serienmacher doch, näher an der Realität zu bleiben, wie zuletzt in der BBC-Produktion "Vigil" über ein britisches Atom-U-Boot, hagelt es Kritik: Weil die Krimireihe echte Skandale der Royal Navy thematisierte, etwa Drogenmissbrauch und ungeklärte Todesfälle, wurde ihr vorgeworfen, politisch motiviert zu sein und gegen Britanniens atomare Abschreckungsstrategie zu agitieren. Ob der Vorwurf haltbar ist oder nicht: Mit mehr als 13 Millionen Zuschauern nur in Großbritannien war "Vigil" eine der erfolgreichsten Serien der BBC der vergangenen Jahren. Ganz ohne Weltraum.

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