Süddeutsche Zeitung

Migrationspolitik:Die zwei Seiten des Horst Seehofer

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Daheim gilt er als Hardliner, anderswo als flüchtlingspolitischer Softie. Der deutsche Innenminister berät mit seinen europäischen Kollegen über die Migrationsfrage - und hängt gleich die Hoffnungen nicht zu hoch.

Von Karoline Meta Beisel und Constanze von Bullion, Berlin

Es ist eine noch ungewohnte Rolle, und schon bevor es losgeht, bemüht sich Deutschlands Innenminister, die Erwartungen zu drosseln. "Ich lasse keinen Zweifel, dass es sehr, sehr schwer ist", sagt Horst Seehofer, bevor er am Dienstag erstmals ein virtuelles Treffen der EU-Innenminister eröffnet. Es seien in der Migrationspolitik "dicke Bretter" zu bohren.

Am Ende dann wirkt der Bundesinnenminister geradezu euphorisiert. Es sei "ein richtiges Feuer" entzündet worden. Seenotrettung, polizeiliche Zusammenarbeit in Europa und Migration, das sind die Themen, die bei der Konferenz der EU-Innenminister am Dienstag auf der Tagesordnung stehen. Seehofer will die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dazu nutzen, das sogenannte GEAS zu reformieren, das Gemeinsame Europäische Asylsystem. Die Hauptankunftsländer für Migranten am Mittelmeer sollen entlastet, Geflüchtete in Zentren an der EU-Außengrenze festgehalten und dort nach einem beschleunigten Verfahren über Europa verteilt werden - oder möglichst direkt abgeschoben. Beim Koalitionspartner und bei deutschen Flüchtlingsorganisationen werden Seehofers Pläne ausgesprochen kritisch beäugt. Beschleunigte Asylverfahren und Festsetzung in Zentren an den EU-Außengrenzen - das dürfte einen Abbau der vergleichsweise hohen deutschen Asylstandards bedeuten, warnen Befürworter einer humanitären Flüchtlingspolitik.

Zu Hause gilt Seehofer seinen Kritikern als migrationspolitischer Hardliner, der selbst bei der versprochenen Umsiedlung von minderjährigen Flüchtlingen von den griechischen Inseln die eigenen Ankündigungen nicht einhält. In Nachbarländern ist das anders. Hier sehen viele Deutschland als ausgesprochen aufnahmebereite Nation - was im EU-Vergleich allerdings nicht besonders schwer ist. Bei Vertretern des UN-Flüchtlingshilfswerks wurde Seehofers Ziel beschleunigter Asylverfahren kürzlich gelobt. Mehr Ordnung im Asylwesen bei gleichzeitig humanitären Grundsätzen betrachtet man hier als Versprechen der deutschen Ratspräsidentschaft, nicht als Drohung. Und seit Seehofer versuchte, bei der Seenotrettung eine Allianz der Willigen zu schmieden, gilt er - anders als daheim - gerade im Osten Europas als humanitäre Nervensäge.

"Daran wird man sich auch nicht gewöhnen dürfen"

Der Bundesinnenminister wirkt ganz so, als gefalle ihm die neue Rolle. Es sei "beschämend", dass die EU es in der Zukunftsfrage der Migration keine Lösung gefunden habe, sagt er vor Beginn der Innenministerkonferenz am Dienstag. Dass die 27 Mitgliedsländer sich nicht über die Seenotrettung einigen konnten, sei "eigentlich nicht würdig für die EU". Seehofer verwahrt sich auch gegen sogenannte Pushbacks, also die verbotene Zurückdrängung von Flüchtlingsbooten vor Griechenlands Küste. Ein "so fundamentaler Bruch von Menschenrechten und auch Menschenwürde" könne keinen Bestand haben. Nach dem Treffen wirkt der CSU-Politiker nicht nur so, wie man nach solchen Veranstaltungen eben zu wirken hat: optimistisch. Seehofer macht einen regelrecht aufgekratzten Eindruck. Die Kollegen hätten ungewohnt konstruktiv diskutiert. "Ich habe jetzt den Ehrgeiz, dass wir einen großen Sprung machen, Schritt wäre zu wenig." Nur - so wie Seehofer möchte, springen die Kollegen eben nicht. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson will die Vorschläge der EU-Kommission zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystems erst vorlegen, wenn es eine Einigung über die EU-Finanzen gibt, nicht vor September. Erst danach kann die Diskussion richtig losgehen. Deshalb hat Seehofer mit der Seenotrettung jenen kleinen Ausschnitt der Migration auf die Tagesordnung gesetzt, den er schon jetzt beackern kann. "Wir wollen wegkommen von den Ad-Hoc-Lösungen", sagt er. Gemeint ist, dass die Verteilung geretteter Schiffbrüchiger in der EU immer wieder neu verhandelt werden muss. Die EU müsse "Kriminellennetzwerke" von Schleppern bekämpfen und gleichzeitig legale Einwanderungswege für Arbeitskräfte schaffen, betont Johansson. Dazu müssten auch Abkommen mit Drittstaaten wie Tunesien, Libyen und Algerien getroffen werden. Ob Seehofer Libyen für einen sicheren Herkunftsstaat halte, in den man Migranten zurückschicken könne, erkundigt sich später ein italienischer Journalist. Nein, antwortet der Minister. "Ich würde jetzt im deutschen Verfassungsrecht Libyen nicht als sicheren Herkunftsstaat bezeichnen." Dennoch könne es zulässig sein, Migranten mit der Küstenwache dorthin zurückzubringen. Künftig sollten die nordafrikanischen Staaten stärker eingebunden werden, damit weniger Menschen auf illegalen Wegen nach Europa kommen - zugleich aber auch legale Einwanderung ermöglicht werden. So etwa stellt Seehofer sich das neue Asylsystem vor. Was davon umgesetzt wird, ist eine andere Sache.

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SZ vom 08.07.2020
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