Süddeutsche Zeitung

Müll in der Schweiz:Land der Wegwerfbecher

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So sauber das Image: Beim Plastikverbrauch hat die Schweiz ein Problem.

Von Isabel Pfaff, Bern

In der Schweiz sagt man nicht "recyclen", sondern "rezyklieren", und man sagt es sogar vergleichsweise oft. In ihrer überwiegenden Wahrnehmung sind Schweizerinnen und Schweizer nämlich Weltmeister im Rezyklieren: Mittagessen in der Take-away-Verpackung? Kein Problem, wird doch rezykliert. Noch schnell ein Kaffee to go, bevor der Zug kommt? Logisch, wir rezyklieren den Becher ja.

Doch auch wenn die Alpenrepublik von außen einen sauberen, überhaupt nicht vermüllten Eindruck macht: Ganz so gut steht es doch nicht um sie, was Abfälle und deren Wiederverwertung angeht. Nur wenige andere Länder auf der Welt verursachen pro Kopf so viel Müll: Laut einer Studie der Weltbank ist die Schweiz weltweit unter den Top 20. In Europa belegte sie 2021 mit gut 700 Kilogramm Müll pro Kopf und Jahr Rang sechs - hinter Österreich, Norwegen, Luxemburg, Dänemark und Belgien - und nur knapp vor Deutschland.

Betrachtet man allein die Plastikabfälle, die besonders problematisch sind, wenn sie in die Natur gelangen, liegt die Schweiz mit ihrer Abfallmenge pro Kopf auf Platz 19 weltweit. In Europa, das zeigt eine US-Studie, die Zahlen der Weltbank verwendet, werfen nur die Isländer und die Luxemburger mehr Plastik pro Kopf in die Tonne oder in die Natur. Und während EU-Staaten im Schnitt 32 Prozent ihrer Plastikabfälle recyceln, liegt der Anteil in der Schweiz bei nur 15 Prozent. Der Großteil des Plastikmülls wird verbrannt.

"Die Schweiz hat ein massives Plastikproblem", hielt die Nichtregierungsorganisation Oceancare deshalb vor Kurzem fest. In ihrem Bericht "Plastic Matters" stellen die Meeresschützer die verfügbaren Zahlen zum Plastikverbrauch in der Schweiz zusammen und kritisieren das Land scharf: Der Umweltschaden, der durch das viele Einwegplastik entstehe, sei nicht mit Recycling wiedergutzumachen. Und: "Die Selbstregulierung der Wirtschaft funktioniert nur unzureichend und bestehende Gesetze werden nicht angewendet."

Oceancare fordert mehr Verbote - etwa solche, wie sie in der EU gelten: Seit Mitte 2021 sind in den Mitgliedstaaten Einwegprodukte aus Plastik wie Besteck und Geschirr, Trinkhalme oder Wattestäbchen verboten. Nachziehen will die Schweizer Regierung in der Sache aber nicht unbedingt. Lieber setzt das Land auf Eigenverantwortung von Wirtschaft und Handel.

Doch vielleicht liegt die Lösung des Problems ganz woanders. Das viele Plastik hat ja nicht zuletzt mit dem guten Funktionieren des Landes zu tun: Die Kaufkraft ist hoch, da leistet man sich öfter mal einen Kaffee oder Snack to go. In kaum einem Land kann man außerdem so zuverlässig mit dem öffentlichen Verkehr pendeln. Wer mobil ist, verpflegt sich öfter unterwegs und greift auf Behälter und Besteck aus Plastik zurück. Und schließlich die Sache mit der Sauberkeit: Dass das Land so aufgeräumt wirkt, hat seinen Preis. Die Schweizer Behörden investieren sehr viel Geld in die Reinigung des öffentlichen Raums. Warum also nicht mal ein bisschen nachlässiger werden? Dann vergeht vielleicht auch den vermeintlichen Rezyklier-Weltmeistern die Lust auf den nächsten Wegwerfbecher.

In einer früheren Fassung hieß es versehentlich, die Schweiz rangiere im europäischen Vergleich auf "Rang fünf". Richtigerweise muss es "Rang sechs" heißen. Wir haben das im Text korrigiert.

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