Süddeutsche Zeitung

Russland:Moskau sendet Zeichen der Entspannung

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Von der ukrainischen Grenze werden Truppen abgezogen und Nawalny darf offenbar in ein ziviles Krankenhaus. Doch nicht alles, was Putin sagt, klingt nach Deeskalation.

Von Silke Bigalke, Moskau

Michael Kretschmer hat offenbar einen guten Tag erwischt für sein Gespräch mit Wladimir Putin. Der russische Präsident, so schien es, war am Donnerstag milde gestimmt. Nicht, weil er sich eine knappe halbe Stunde Zeit für den sächsischen Ministerpräsidenten nahm - übrigens am Telefon, obwohl Kretschmer persönlich in Moskau war. Der CDU-Politiker sprach auch die beiden Themen an, die die deutschen Beziehungen zu Russland derzeit am stärksten belasten: den Konflikt in der Ukraine und den Gesundheitszustand von Alexej Nawalny.

Ganz sicher war es Zufall, dass es noch am selben Tag Zeichen von Entspannung in beiden Punkten gab. Am Donnerstagnachmittag erklärte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu, ein großer Teil der russischen Truppen, die er in den vergangenen Wochen in die Nähe der ukrainischen Grenze und auf die annektierte Halbinsel Krim verlegt hatte, werde sich nun wieder auf den Heimweg machen. Der Aufmarsch Zehntausender Soldaten mit Panzern und Geschützen hatte in Kiew, in Brüssel und in Washington die Sorge wachsen lassen, Moskau könnte offen die umkämpfte Ostukraine angreifen.

Das Ziel der Überraschungsinspektion sei erreicht, die Übung abgeschlossen, erklärte nun Schoigu. Bis Anfang Mai sollen die meisten Einheiten zurück an ihren Ausgangsorten sein. Das klingt zeitlich recht knapp bemessen, wenn man bedenkt, dass der Truppenaufmarsch an der westlichen Grenze über Wochen lief. Außerdem soll ein Teil der Militärtechnik wohl noch bis zur großen Sapad-Übung im Herbst in der Nähe von Woronesch bleiben, etwa 170 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt.

Dennoch: Weniger Truppen bedeuten weniger Spannung, schrieb auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij als Reaktion auf Twitter. Er hatte Wladimir Putin zuvor eingeladen, ihn im umkämpften Donbass zu treffen. Putin reagierte am Donnerstagabend, er werde gerne mit Selenskij reden - der müsse aber zu ihm kommen: "Wenn es um die Entwicklung der beidseitigen Beziehungen geht, dann bitte. Wir empfangen den Präsidenten der Ukraine zu jeder für ihn angenehmen Zeit in Moskau". Er schob nach, die ukrainische Regierung habe in letzter Zeit "viele Schritte zur Zerstörung unserer Beziehungen" unternommen.

Putins System reagiere auf Druck, sagt ein Vertrauter Nawalnys

Nach Entspannung hört sich das kaum an. Viele Experten hatten zuvor spekuliert, dass der Kreml mit dem Truppenaufmarsch demonstrieren wollte, wozu er in der Lage wäre, wenn er tatsächlich angreifen wollte. Dennoch wurde der Abzug in Kiew zunächst als gute Nachricht gewertet.

Und auch im Fall von Alexej Nawalny gibt es positive Neuigkeiten. Er wurde offenbar bereits am Dienstag in ein ziviles Krankenhaus in Wladimir gebracht, nicht weit von der Strafkolonie, in der er inhaftiert ist. Laut Nawalnys Stabschef Leonid Wolkow haben seine Anwälte nun auch die Ergebnisse aller medizinischen Untersuchungen erhalten und seine Ärzte haben sie angesehen. Nawalnys Ärzte fordern ihn nun auf, seinen Hungerstreik zu beenden. Am Mittwochabend waren in Moskau und vielen anderen russischen Städten Zehntausende auf die Straße gegangen, um ärztliche Versorgung und Freiheit für Nawalny zu fordern.

Es sei "sehr traurig", schrieb Wolkow auf Telegram, dass 23 Tage Hungerstreik und das Drängen von Prominenten und anderen Menschen weltweit nötig gewesen seien, bevor Nawalny behandelt wurde. Die gute Nachricht sei, dass Putins System weiterhin auf Druck von innen und außen reagiere, "auch wenn es sich taubstumm stellt, wie ein tausend Tonnen schwerer schwarzer Monolith".

Michael Kretschmer hatte von Putin zu hören bekommen, "dass die medizinische Versorgung gewährleistet ist". Von den neuesten Entwicklungen konnte der CDU-Politiker da wohl noch nichts wissen. Hauptanlass seines Besuchs war die Eröffnung einer Romantikausstellung in der Tretjakow-Galerie, an der die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden beteiligt sind. Er nutzte die Gelegenheit, auch über Sputnik V zu sprechen. Seiner Aussage zufolge möchte Deutschland 30 Millionen Impfdosen haben - aber erst, wenn die EMA-Zulassung da ist. Und wenn es bei den Verhandlungen entspannt zugeht, umso besser.

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