Süddeutsche Zeitung

Nawalny-Heimkehr:Die russischen Behörden machen Ernst

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Ein Flugzeug voller Journalisten, ein scherzender Alexej Nawalny: Die Heimkehr des russischen Oppositionspolitikers ist eine Riesenshow. Bis zur Ankunft. Chronologie einer angekündigten Festnahme.

Von Silke Bigalke, Moskau

Das Flugzeug war übervoll, Alexej Nawalny kam kaum bis zu seinem Sitz in der "glücklichen Reihe Nummer 13", wie er selbst betonte. Der Oppositionelle würde an diesem Tag noch oft wiederholen, wie glücklich er sei, nach Moskau zurückzukehren. Zuerst aber musste er sich an den vielen Handy-Kameras vorbei zu seinem Sitz quetschen. "Macht bitte ein paar Schritte zurück", bat er immer wieder. "Wir fliegen doch zweieinhalb Stunden zusammen."

Fast jeder an Bord wollte ein Bild von ihm, Nawalny konnte das nur recht sein. Er hatte darauf gebaut, dass viele, sehr viele Menschen auf diesen Flug schauen würden. Viele Journalisten hatten schnell Tickets gebucht, nachdem Nawalny am Mittwoch Tag und Fluglinie für seine Rückkehr veröffentlicht hatte. Ein Passagier rief ihm noch zu, dass er in Moskau doch festgenommen würde. "Verhaften sie mich? Unmöglich!", entgegnete Nawalny scherzend.

Mehrere Livestreams im Internet übertrugen alles, was sie aus der Maschine bekommen konnten. Die Gelassenheit von Nawalnys Ehefrau Julia: "Junge, bring uns Wodka. Wir fliegen nach Hause", sagt sie cool in eine der Kameras, einen russischen Mafiafilm zitierend. Sie zeigen Nawalnys Gruppenfoto mit den Stewardessen. Zeigen Nawalny, der dann doch etwas nachdenklich aus dem Fenster starrt, nachdem er in Moskau gelandet ist. Am falschen Flughafen übrigens, denn die russischen Behörden haben den Flieger überraschend umleiten lassen. Eine Riesenshow, drinnen wie draußen.

In Moskau erwarten Nawalny ein Haftbefehl und mehrere Strafverfahren

Für Nawalny ging es darum, Gelassenheit zu demonstrieren, Furchtlosigkeit. In Moskau erwarteten ihn nicht nur ein Haftbefehl und mehrere Strafverfahren. In Russland war er im August mit einem chemischen Kampfstoff vergiftet worden, mutmaßlich von Geheimdienstlern, in Deutschland erholte er sich über Monate von den Folgen. Nun begab er sich zurück in die Gewalt desselben Machtapparats, der ihn wahrscheinlich beseitigen wollte - Nawalny selbst ist davon überzeugt. In den vergangenen Wochen hatten die russischen Behörden ihn offenbar von einer Rückkehr abbringen wollen, der Haftbefehl war nur eine von vielen Schikanen. Weil der Kreml ihn offenbar lieber nicht in Russland sähe, auch deswegen kehrte Nawalny zurück nach Moskau.

Dort rollten ihm die Behörden einen alarmroten Teppich aus: Sie schickten ganze Mannschaften von Polizei und Sondereinsatzkräften zum Flughafen, fingen Oppositionelle, die Nawalny dort treffen wollten, auf ihrem Weg ab, drohten Unterstützern mit Festnahmen, ließen Teile des Flughafengebäudes räumen und hinderten schließlich auch noch das Flugzeug mit Nawalny an Bord, dort wie geplant zu landen. Statt im Süden der Stadt kam Nawalny im Norden an. So viel Aufwand für einen Mann, dem Präsident Wladimir Putin bei seiner Jahrespressekonferenz im Dezember zugestanden hatte, ein "bekannter russischer Blogger" zu sein, und mehr nicht.

Als Nawalny aus dem Flieger stieg, waren die zahlreichen Kameras seiner Mitreisenden wieder auf ihn gerichtet. Sie filmten ihn und seine Frau, die hinten im Flughafenbus standen, am Terminal ausstiegen, die Rolltreppe hochfuhren und dann noch mal stehen blieben, genau vor einem Panoramabild der russischen Hauptstadt, die perfekte Kulisse für eine kurze Ansprache. Nawalny bat um ein wenig Raum, er wirkte nun weniger gelassen. Er habe keine andere Wahl gehabt als zurückzukommen, sagte er. "Diese Frage gab es überhaupt nicht, keine einzige Sekunde." Dass nun noch sein Flug umgeleitet wurde, auch das zeige, "wie man hier kämpfen muss". Er habe keine Angst, sagte Nawalny. "Weil ich weiß, dass ich recht habe, ich weiß, dass alle Strafverfahren gegen mich erfunden sind."

"Ich rufe euch alle auf, keine Angst zu haben", sagt Julia Nawalnaja

Kurz darauf wurde er trotzdem festgenommen. Die folgenden Bilder zeigen ihn an der Passkontrolle, er diskutiert mit den Polizisten, die dahinter auf ihn warten. "Verhaften Sie mich?", hört man Nawalny sagen. "Sie nehmen mich fest, Sie verhaften mich, kein Problem, bestellen Sie einen Anwalt", sagt er. Er sei doch schließlich schon auf dem Territorium Russlands. Ob sein Pass tatsächlich schon abgestempelt wurde, bleibt aber offen. Seine Anwältin, die extra mitgereist ist, darf ihn nicht begleiten. Er dreht sich zu seiner Frau Julia um, nimmt sie ihn den Arm, gibt ihr einen Abschiedskuss. Bevor sie später das Gebäude verließ, bedankte Julia Nawalnaja sich bei den vielen Menschen, die vergeblich zum falschen Flughafen gekommen waren. "Das Wichtigste, was Alexej heute gesagt hat, ist, dass er keine Angst hat", erklärte sie. "Und ich habe auch keine Angst. Ich rufe euch alle auf, keine Angst zu haben." Ihr Mann wurde unterdessen offenbar in eine nahe gelegene Polizeistation gebracht. Das twitterte sein Mitstreiter Iwan Schdanow am frühen Montagmorgen (Ortszeit).

Auch der Kreml äußerte sich später noch zu Nawalnys Rückkehr, nach diesem Tag wirkte der Auftritt von Putins Sprecher beinahe komisch. "Entschuldigung. Wurde er in Deutschland festgenommen?", wollte Dmitrij Peskow auf die Nachfrage der Journalisten wissen. "Ich bin nicht auf dem Laufenden."

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