Süddeutsche Zeitung

Russland:Putin gibt sich siegessicher im Weltraumbahnhof

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In Wostotschny will der russische Präsident Widerstandsfähigkeit demonstrieren. Belarus-Machthaber Lukaschenko, der ihn begleitet, zeigt einmal mehr: Er ist Moskau ausgeliefert.

Von Cathrin Kahlweit

Das Wostotschny-Kosmodrom ist ein russischer Weltraumbahnhof, der im Fernen Osten im Amur-Gebiet liegt. Von Moskau aus sind es etwa acht Stunden Flugzeit. Für den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko, der aus Minsk nach Blagoweschtschensk nahe der chinesischen Grenze und von dort aus weiter zum Kosmodrom anreiste, ist der Flug sogar noch länger. Aber es dürfte zweifelsohne sein russischer Counterpart, der russische Präsident Wladimir Putin, gewesen sein, der die Bedingungen festlegte, unter denen sich die beiden Männer treffen. Und der wollte am "Tag der Raumfahrt" fern von Moskau nun mal nicht nur Lukaschenko, sondern auch den Chef der russischen Weltraumbehörde und den Gouverneur der Amur-Region treffen, Kosmonauten auszeichnen und dabei demonstrieren, dass Russland technisch ganz weit vorn ist.

Der Weltraumbahnhof ist offiziell seit sechs Jahren im Teilbetrieb. Das Dekret für den Baubeginn hat Putin bereits 2007 unterschrieben; dennoch ist das Gelände nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Tass immer noch im Bau. Es wird gerade für eine neue Generation von Raketen erweitert und soll unter anderem Ausweichmöglichkeit für das Aerodrom in Kasachstan fungieren. Auf den Bildern vom Besuch Putins und Lukaschenkos, die aus einiger Entfernung unter freiem Himmel aufgenommen sind, und die beide Diktatoren bei der Besichtigung der Anlage zeigen, sind vor allem Bauarbeiter in Warnwesten, hohe Metallkonstruktionen und viel Schnee zu sehen. Eine belarussische Journalistin twittert mit schwarzem Humor, es sei symbolisch, dass sich die beiden Männer im Wostotschny-Kosmodrom begegneten: Weil die Welt die beiden grauenhaften Diktatoren am liebsten "zum Mond schießen" würde.

"Wir hatten keine andere Wahl", sagte Putin

Putin äußerte sich bei seiner Visite im Amur-Kreis, die als "Arbeitsbesuch" eingeordnet wurde, ausführlich, unter anderem auf einer gemeinsam mit Lukaschenko anberaumten Pressekonferenz. Und was Putin zu sagen hatte, war wenig überraschend: Die sogenannte Spezialoperation in der Ukraine, die in Russland einen Krieg zu nennen verboten ist, gehe nach Plan, so Putin. Die russischen Truppen zeigten Mut und Kampfgeist, sie gingen "effektiv und effizient" vor. Die Intention sei "nobel"; die Aktion unvermeidlich gewesen. Die Operation diene der Gewährleistung der russischen Sicherheit: "Wir hatten keine andere Wahl", sagte Putin. Der Konflikt mit den "antirussischen Kräften in der Ukraine" sei nur eine Frage der Zeit gewesen.

Putin betonte zudem, dass sich Russland nicht vom Rest der Welt abschotten wolle. Auch die Sanktionen des Westens könnten Russland nach Ansicht Putins nicht isolieren; Moskau werde sein technisches und technologisches Potenzial, speziell im Weltall, weiter ausbauen. Tass fügte hinzu, Russland sei nur den Menschen im Donbass zur Hilfe gekommen und greife auch nur militärische Ziele an - die übliche Propaganda in russischen Medien, wie sie ausschließlich und wahrheitswidrig verbreitet wird.

Lukaschenko spielte in der russischen Berichterstattung über Putins Reise nach Sibirien keine große Rolle. Dabei ist der belarussische Diktator durchaus eine kalkulatorische Größe in der Kriegsplanung des Kreml. Der 67-Jährige hatte sich nach der gefälschten Präsidentenwahl 2020 mit ausdauernden Massenprotesten konfrontiert gesehen, die er nur mit russischer Hilfe niederschlagen konnte. Hunderte politische Gefangene sitzen nach wie vor in Haft. Aber auch nach fast zwei Jahren ist die Protestbewegung nicht ganz erdrückt worden, todesmutige Demonstranten werden für Blumensträuße oder Kleider in den Landesfarben von der Geheimpolizei von der Straße weg verschleppt. Im Westen wird Lukaschenko nicht mehr als amtierender Präsident anerkannt.

In Belarus erhält die russische Armee Unterkunft, Verpflegung und Infrastruktur

Angesichts von Sanktionen aus dem Westen und dem Verlust jedweder Legitimation musste sich Lukaschenko, um sich an der Macht zu halten, immer enger an Putin anschließen. Er unterzeichnete ein gemeinsames Dekret zur Intensivierung der Zusammenarbeit und Vertiefung eines "Unionsstaats" samt gemeinsamer Militärdoktrin. Er gab seinen jahrelangen Widerstand gegen die Anerkennung der russischen Annexion der Krim auf und ließ die russische Armee mit Zehntausenden Soldaten ausgedehnte Manöver auf belarussischem Territorium abhalten. Schwadronierte von der Stationierung russischer Atomwaffen und deren Einsatz gegen den Westen von belarussischem Gebiet. Und begrüßte schließlich, dass Russland Belarus als zusätzliches Aufmarschgebiet für den Überfall auf die Ukraine nutze. Die russische Armee hat Zugriff auf militärische und zivile Infrastruktur wie Bahnlinien, Flugplätze, Tankstellen, Krankenhäuser und Leichenhallen und erhalten Verpflegung, Treibstoff, Blutkonserven und Unterkunft.

In einer Analyse des für Belarus zuständigen Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung heißt es jedoch, entgegen ersten Ankündigungen nach Kriegsbeginn, in denen auch der Kampfeinsatz belarussischer Truppen im Dienste Moskaus angekündigt worden sei, habe sich Lukaschenko angesichts des Kriegsverlaufs besonnen. Auch Belarus selbst sei nun womöglich in seiner Unabhängigkeit von Russland bedroht, daher mehrten sich Indizien dafür, dass sich der Diktator in seiner Haltung gegenüber Moskau zögerlich zeige. Bisher haben belarussische Truppen offenbar nicht aktiv in der Ukraine eingegriffen; vielmehr wurden zahlreiche Attacken von Kriegsgegnern und Oppositionellen bekannt, die Bahngleise und andere Infrastruktur beschädigten, um ein Vorrücken russischer Truppen aus Belarus in die Ukraine zu erschweren.

Politisch jedoch hat sich Lukaschenko ausgeliefert. Sein Besuch im Fernen Osten, der auch das zweite Treffen mit Putin seit Kriegsbeginn ist, zeigt einmal mehr, dass sich sein Regime ohne finanzielle Hilfe und Schutz aus Moskau nicht halten kann. Über das Massaker russischer Soldaten im ukrainischen Butscha sagte Lukaschenko laut Medienberichten auf seiner Reise an den Amur, dies sei eine "psychologische Spezialoperation" - durchgeführt von: den Briten.

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