Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Ampelregierung bricht Rekord der Rüstungsexporte

Lesezeit: 3 min

Eigentlich wollten SPD, Grüne und FDP deutsche Lieferungen eindämmen. Doch die Zahlen gehen steil nach oben. Woran das liegt und welche unterschiedlichen Forderungen die Politik stellt.

Die Bundesregierung hat in diesem Jahr Rüstungsexporte für mindestens 11,71 Milliarden Euro genehmigt und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen vom Bündnis Sahra Wagenknecht hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Der bisherige Höchststand von 9,35 Milliarden Euro aus dem Jahr 2021 wurde bereits Mitte Dezember um 25 Prozent übertroffen. Im Vergleich zum Vorjahr betrug der Anstieg sogar 40 Prozent. Mehr als ein Drittel der genehmigten Ausfuhren ging an die Ukraine.

Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 12. Dezember 2023 genehmigte die Ampel die Ausfuhr von Kriegswaffen im Wert von 6,15 Milliarden Euro und von sonstigen Rüstungsgütern für 5,57 Milliarden Euro. Fast 90 Prozent entfallen auf Staaten der EU und der Nato, auf die Ukraine sowie auf Staaten, die bei der Rüstungsexportkontrolle genauso oder ähnlich wie Nato-Staaten behandelt werden - zum Beispiel Japan, Australien oder Südkorea.

Zeitenwende auch in der Rüstungsexportpolitik

Die Ampelregierung hatte sich in ihren Koalitionsverhandlungen auf Drängen von SPD und Grünen eigentlich vorgenommen, die Rüstungsexporte einzudämmen und ein Kontrollgesetz auf den Weg zu bringen. Dann kam mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine die Kehrtwende in der deutschen Rüstungspolitik.

Im ersten Kriegsjahr waren 2022 Waffenlieferungen für 2,24 Milliarden Euro an die Ukraine genehmigt worden, darunter Flugabwehrsysteme und schwere Artillerie. In diesem Jahr kamen unter anderem Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 hinzu. Die Exporterlaubnisse für die Ukraine stiegen auf 4,15 Milliarden Euro.

Der hohe Gesamtwert ist aber nicht allein darauf zurückzuführen. Auch ohne die Ukraine genehmigte die Bundesregierung Exporte im Wert von weit mehr als sieben Milliarden Euro. In der Rangliste der wichtigsten Empfängerländer folgen auf die Ukraine fünf Nato-Staaten:

  • Ukraine (4,15 Milliarden Euro)
  • Norwegen (1,20 Milliarden Euro)
  • Ungarn (1,03 Milliarden Euro)
  • Großbritannien (654,9 Millionen Euro)
  • USA (545,4 Millionen Euro)
  • Polen (327,9 Millionen Euro)
  • Israel (323,2 Millionen Euro)

Die Rüstungsexporte nach Israel waren im Vergleich zum gesamten Jahr 2022 ungefähr zehnmal so hoch. Der Großteil der mehr als 200 Einzelgenehmigungen wurde früheren Angaben des Ministeriums zufolge nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober erteilt. Es geht dabei insbesondere um Komponenten für die Luftabwehr und Kommunikationsausrüstung.

Auch in diesem Jahr erlaubte die Bundesregierung wieder Rüstungslieferungen in Staaten aus dem arabischen Raum, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und Saudi-Arabien. Diese Exporte sind vor allem wegen der Menschenrechtslage dort und der Verwicklung in regionale Konflikte umstritten.

Die Außenpolitikerin Dağdelen kritisierte den Rekord der Rüstungsexporte scharf. Er befeuere "den sinnlosen Abnutzungskrieg in der Ukraine mit immer neuen Waffengeschenken". Diese müssten "von der Bevölkerung hier teuer bezahlt" werden.

Grüne und CDU bei Exporten uneins

Kritik an den Waffenexporten kommt auch aus der Kanzlerpartei. SPD-Politiker Ralf Stegner nannte die Zahlen "natürlich eine schlechte Nachricht". Gerade Lieferungen in Drittstaaten außerhalb von EU und Nato lehne er ab. Er verwies dabei auf Saudi-Arabien, das er "zu den blutrünstigsten Diktaturen" zählte. Stegner rief dazu auf, sich stärker Problemen wie Hunger, Flucht und Vertreibung oder Umweltzerstörung zu widmen. "Industriepolitik insbesondere mit Blick auf die Rüstungsindustrie zu betrachten, löst kein einziges Weltproblem", sagte er. "Das Geld in Waffen zu stecken statt in Frieden, ist keine gute Sache."

Grünen-Chef Omid Nouripour forderte eine baldige Einigung der Ampelregierung auf ein Gesetz zur besseren Kontrolle von Waffenlieferungen. Er gehe davon aus, dass es im nächsten Jahr beschlossen wird, sagte Nouripour der Deutschen Presse-Agentur.

Nouripour machte sich für eine restriktive Exportpolitik stark, wies aber auf Einschränkungen hin. Es bestünden noch alte Rüstungsverträge mit Diktaturen, aus denen man nicht einfach aussteigen könne. Außerdem müsste die Zusammenarbeit in anderen Bereichen wie dem Energiesektor in der Rüstungsexportpolitik berücksichtigt werden. Und es gebe Gemeinschaftsprojekte mit Verbündeten, die einen anderen Ansatz in der Exportpolitik verfolgten. "Es gibt nicht den einen Federstrich und den einen Zauberstab, mit dem man jetzt sofort zu einem Stopp kommen kann", sagte Nouripour.

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hingegen forderte, Länder außerhalb von EU und Nato noch mehr mit Waffen und Rüstungsgütern zu beliefern, wenn das im sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands sei. Er rief die Bundesregierung auf, ihre Blockade der Lieferung von Eurofighter-Kampfjets nach Saudi-Arabien aufzugeben. Ein solcher Kurswechsel sei notwendig, "auch um zu verhindern, dass Saudi-Arabien aus dem westlichen Lager abdriftet und sich beispielsweise China anschließt", sagte Kiesewetter der Deutschen Presse-Agentur.

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