Süddeutsche Zeitung

Röttgen rät zum Atomausstieg:"Taschenspielertricks"

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Umweltminister Röttgen hat der Union zum Atomausstieg geraten und sieht sich deshalb nun mit heftiger Kritik konfrontiert - vor allem aus den eigenen Reihen.

"Die CDU muss sich gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal machen will." Das sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) der Süddeutschen Zeitung.

Und: Die Bundesregierung werde bis zum Herbst darlegen, wie die Reaktoren schrittweise durch erneuerbare Energien abgelöst werden sollten. Details nannte er nicht.

Dafür erntete Röttgen jetzt scharfe Kritik aus den Reihen der CDU. Unions- Fraktionsvize Michael Fuchs sagte, sichere Kernkraftwerke könnten weiterlaufen, und zwar nicht nur 40 Jahre, sondern 60 Jahre oder noch länger. "Volkswirtschaftlich bedeutet es einen enormen Schaden, gut funktionierende Kernkraftwerke abzuschalten, die weder durch 'Vogelschredderanlagen' (Windkraft) noch durch 'Subventionsgräber' (Solarzellen) ersetzbar sind", sagte Fuchs der Welt am Sonntag.

Die schwarz-gelbe Regierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag zwar eine grundsätzliche Bereitschaft für längere Laufzeiten erkennen lassen, will diese aber in ein "Energiekonzept" bis Herbst einbetten.

Unions-Fraktionsvize Michael Kretschmer, plädierte dafür, die nach seiner Ansicht sicheren deutschen AKW länger laufen zu lassen. "Mich stört auch das Argument, es gäbe eine mangelhafte Akzeptanz der Kernenergie. Wenn das so wäre, wäre es die Aufgabe der CDU, dafür zu kämpfen, dass die Akzeptanz größer wird", sagte er der WamS.

Der außenpolitische Sprecher der Union, Philipp Mißfelder, sagte zu Röttgens Äußerungen: "International stellen wir eine gegenläufige Bewegung fest. Deshalb verliert ein deutscher Alleingang in Sachen Kernenergie mehr und mehr an Logik." Die CDU habe beschlossen, dass Kernenergie eine Brückentechnologie sei. "Aus meiner Sicht wird diese Brücke jedoch länger sein als nur wenige Jahre."

Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth warf Röttgen vor, er versuche "den Menschen Sand in die Augen zu streuen, während Schwarz-Gelb im Hinterzimmer den Ausstieg aus dem Atomausstieg festzurrt und die Solarförderung kappt". Wenn Röttgen meine, was er sage, "müsste er einfach am Atomausstieg festhalten".

"Taschenspielertricks"

Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bezweifelte den Willen zum Atomausstieg in der CDU. Er sagte auf dem Landesparteitag in Neumünster (Schleswig-Holstein): "Ich glaube, dass Herr Röttgen und andere hier Taschenspielertricks vorbereiten und das Hin- und Herschieben von Laufzeiten planen."

Gabriel will die Kosten für die Sanierung der maroden Atomendlagern auf die Kernindustrie übertragen. Diese Arbeiten würden den Staat sechs bis acht Milliarden Euro kosten, sagte er. Eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken würde zudem Anbieter von erneuerbaren Energien abschrecken, neue Anlagen aufzubauen.

Die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen, Bärbel Höhn, lobte Röttgen dagegen. "Die neuen Töne des Umweltministers, die den Atomkurs der Union infrage stellen, sind bemerkenswert", sagte sie der Welt am Sonntag. Ob das aber mehr sei als ein taktisches Manöver vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, könnten nur Taten zeigen.

Röttgen warnte in der SZ auch davor, die Zusatzgewinne der Energie- Unternehmen aus Atomkraft mit einer Sonderabgabe abzuschöpfen. "Der Staat muss jeden Anschein vermeiden, er schöpfe Sondergewinne ab und mache dafür Zugeständnisse bei der Sicherheit." Dies sei auch verfassungsrechtlich schwierig.

Damit stellte sich der Umweltminister gegen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Der hatte kürzlich erklärt, er wolle "mindestens die Hälfte der Sondergewinne abschöpfen". Aus dem Aufkommen könne der Ausbau erneuerbarer Energien finanziert werden.

Eine Beteiligung an den Sondergewinnen fordert der VIK-Verband industrieller Energienutzer laut "Hannoverscher Allgemeiner Zeitung". Die Energieunternehmen sollten den in Meilern produzierten Strom zu Sonderkonditionen an einen Fonds verkaufen. Die eine Hälfte des Stroms solle zu einem wettbewerbsfähigen Preis an Großverbraucher gehen. Die andere Hälfte solle über den Handel vermarktet werden, wobei die Erlöse an den Staat gingen. Nach dem geltenden Atomausstieg dürfen die deutschen Atomkraftwerke nur 32 Jahre lang laufen.

Allerdings wurde diese Laufzeit umgerechnet in Strommengen; diese allein sind maßgeblich. Einige Reaktoren, die - wie Biblis A und B in Hessen, Neckarwestheim 1 in Baden-Württemberg und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein - ihre Strommengen noch nicht produziert haben, sind derzeit schon älter als 32 Jahre. Biblis A und Brunsbüttel stehen, auch in Erwartung längerer Laufzeiten, seit Monaten still.

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dpa/AFP/AP/segi
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