Süddeutsche Zeitung

Regionalkonferenz in Sachsen-Anhalt:Und jetzt kommt die CDU beim Schmerzthema an

Lesezeit: 4 min

Von Stefan Braun, Halle

Dieses Mal geht alles schnell. So schnell sogar, dass die vierte CDU-Regionalkonferenz in Halle schon beginnt, bevor sie überhaupt losgeht. Startzeit ist normalerweise 18 Uhr; an diesem Donnerstag aber sieht sich Friedrich Merz gezwungen, die Bühne schon drei Stunden früher zu betreten.

Gemeint ist damit nicht die klassische Bühne in der begrenzt gemütlichen Messehalle 4 von Halle an der Saale. Gemeint ist sein Twitter-Account, den Merz am Nachmittag für eine große Replik nutzt. Noch bevor er hier vor die Leute tritt, will er sich mit einer Klarstellung den Boden bereiten. Anders ausgedrückt: Er hat das dringende Bedürfnis, eine gefährliche Front zu begradigen.

Am Vorabend nämlich hatte Merz bei einigen Christdemokraten Begeisterung und bei vielen anderen innerhalb und außerhalb der CDU Entsetzen ausgelöst. Entsetzen und Ärger über seinen Ruf nach einer großen öffentlichen Debatte übers deutsche Grundrecht auf Asyl. Seine Botschaft: Wer ein einheitliches europäisches Asylrecht anstrebe, müsse bereit sein, das deutsche Grundrecht zu überdenken. Genauer gesagt: in Frage zu stellen.

So groß wurde über den Tag die Welle der Kritik, dass Merz am Nachmittag eines klarstellen möchte: Auch er wolle "das Grundrecht auf Asyl selbstverständlich nicht in Frage stellen". Das entspreche einer "Politik aus christlicher Verantwortung und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte".

Merz hat erkannt, auf welchem gefährlichen Drahtseil er sich bewegt hat

Über den Tag hinweg hat Merz offenkundig erkannt, auf welchem gefährlichen Drahtseil er sich am Vorabend bewegt hat. Eines allerdings will er nicht aufgeben, und das ist die Botschaft, dass es nicht trivial werde, einen Weg zu erreichen, bei dem "das Grundrecht auf Asyl und ein europäischer Lösungsansatz gemeinsam wirken können". Merz will das Feuer löschen, aber auf keinen Fall wie einer dastehen, der einfach nur einknickt.

Das nämlich würde den ohnehin komplizierten Auftritt in Halle gerade für ihn, den Polit-Rückkehrer, noch komplizierter machen. Hatte doch schon die Debatte über sein Gehalt und die Frage, ob ein Millionär aus dem Westen die Menschen im Osten verstehen könne, die Lage nicht gerade vereinfacht.

Und doch, als es kurz nach sechs dann in der Messehalle selbst losgeht, bleibt die Stimmung für ihn erträglich. Der Applaus wird ziemlich gleichmäßig zwischen allen verteilt. Kein Vorsprung, kein Rückstand - so gesehen sind Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn und Merz in Halle genau dort, wo sie bei der ersten Regionalkonferenz in Lübeck auch waren: Einem allgemein und insgesamt ganz freundlichen Gleichstand.

Geändert aber hat sich trotzdem etwas. Am ersten Abend in Lübeck und auch in den Auftritten danach dauerte es ziemlich lange, bis das als Bauchgefühl besonders heikle und noch immer die Stimmung prägende Thema Migration, Integration und Flüchtlinge aufgerufen wurde. In Halle aber, an der Grenze zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt, vergehen allenfalls ein paar Minuten.

Das liegt an den drei Wettbewerbern, die ein Loblied auf den Wert der Heimat singen (Kramp-Karrenbauer), auf die strikte Einhaltung aller Gesetze dringen (Merz) und eine Debattenkultur beklagen, bei der der Eindruck entstehe, dass man den schwierigen Problemen ausweichen wolle (Spahn).

Noch deutlicher aber werden die Fragen, die aus dem Publikum kommen. Dabei hilft den dreien allerdings, dass schon der erste Fragesteller dafür sorgt, dass sie sich nicht streiten, sondern verbünden. Zunächst möchte er wissen, wann sich die drei "endlich von der grün-linken Politik Angela Merkels verabschieden". Und direkt im Anschluss fragt er, was sie gegen den "rechtswidrigen Zustand offener Grenzen unternehmen" werden?

Es ist Spahn, der sich im Namen von allen dreien gegen derlei Attacken wendet. Ja, natürlich habe es Probleme und Fehler gegeben, aber nein, diese Art der Tonlage wolle er doch zurückweisen. Christdemokraten müssten für sich einen anderen Umgang pflegen. Mag sein, dass dieser Start in die Debatte reiner Zufall ist. Aber mit dieser Antwort wird klar, dass alle drei nicht zulassen wollen, dass es ausufert.

Das hindert Spahn nicht daran, zu erklären, dass es auch aus seiner Sicht eine "Art Staatsversagen" gewesen sei im Herbst 2015. Es hindert Kramp-Karrenbauer nicht daran, mit Blick auf straffällig und gewalttätig gewordene Asylbewerber zu betonen, sie werde dafür sorgen, dass diese "nie mehr deutschen und europäischen Boden betreten" dürften. Und es hindert Merz nicht, daran zu erinnern, dass "das Wort vom Kontrollverlust die Runde gemacht" habe. "Ein Rechtsstaat wie die Bundesrepublik Deutschland", so Merz als Antwort, "darf zu keinem Zeitpunkt die Kontrolle darüber verlieren, wer im Land lebt und wer ins Land kommt."

Es sind harte Botschaften und heftige Ankündigungen, die Kramp-Karrenbauer, Spahn und Merz den CDU-Mitgliedern in Halle wahlweise zurufen, versprechen oder ankündigen. Doch was vor Kurzem noch das Potenzial gehabt hätte, untereinander Streit auszulösen, wird in Halle zu einem Gesamtpaket neuer Rigidität, an dessen Inhalt alle drei Kandidaten gleichermaßen ihren Anteil tragen.

Das mag am Ort selbst liegen. Sachsen und Sachsen-Anhalt sind die Bundesländer, in denen der Kampf ums Überleben für die CDU besonders schwer ist. Hier ist die AfD nicht nur besonders stark, in Dresden muss der CDU-Ministerpräsident im kommenden Jahr auch um sein Amt fürchten. Und: Hier ist seit Jahren die Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik am lautesten vorgetragen worden.

"So etwas soll und darf sich nicht wiederholen", heißt es von allen Seiten

So gesehen kann es kaum überraschen, sondern erscheint nur logisch zu sein, dass die CDU und ihre drei Wettbewerber in Halle endgültig am eigenen Schmerzthema ankommen. Dabei erklären die drei immer wieder, dass versäumte Debatten ein großes Problem geworden seien. "So etwas soll und darf sich nicht wiederholen", heißt es deshalb von allen Seiten.

Dabei spricht Kramp-Karrenbauer davon, wie sehr unausgesprochene Konflikte lähmen und bleischwer werden könnten. Spahn verlangt, dass Debatten nicht beendet, sondern zu Ende geführt werden müssten. Und Merz fügt noch an, dass auch schwere Themen nicht mehr ausgeblendet, sondern offensiv angesprochen werden müssten.

Doch so leidenschaftlich sie dabei durchaus wirken, so entschieden erinnern sie daran, dass nach dem Reden und Diskutieren auch wieder der Punkt kommen müsste, an dem nach vorne gedacht und entschieden werde. Bei Spahn und Merz heißt es dann, sie wollten nichts mehr verschweigen, aber auch nicht dauerhaft "alte Schlachten schlagen". Und Kramp-Karrenbauer mahnt, bei aller Diskussionsfreude müsse die Partei aufpassen, dass es der CDU nicht so geht wie der SPD mit Hartz IV. Das soll wohl heißen: Redet jetzt viel und ausführlich. Aber danach muss die CDU auch bei diesem Thema ein Ende finden.

Der Abend in Halle endet nach gut drei Stunden. Auf 140 Minuten Flüchtlinge und Asyl folgen noch knapp 40 Minuten für alle anderen Themen. Themen wie die Digitalisierung, die Globalisierung und der Strukturwandel in der Braunkohle, die allesamt nur angetippt werden können.

Und als auch das fast vorbei ist, tritt ein junger Mann ans Mikrofon, um zu erklären, dass er die Debatte im Grundsatz großartig fände. Trotzdem sei es an der Zeit, sich endlich mit den wichtigen Themen auseinanderzusetzen: mit dem Ärztemangel auf dem Land, mit dem miserablen Nahverkehr, mit der Wohnungsnot in den Städten.

Damit hatte oben auf der Bühne keiner mehr gerechnet.

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