Süddeutsche Zeitung

Rassismus in den USA:Obamas Farbenlehre

Lesezeit: 3 Min.

Nach der Tragödie in Ferguson erwartete die schwarze Minderheit, dass US-Präsident Obama den alltäglichen Rassismus in Amerika anprangert. Doch als politisches Thema interessierte ihn das nie besonders, obwohl er ihn selbst erlebte.

Kommentar von Hubert Wetzel

Barack Obama ist Amerikas erster schwarzer Präsident. Doch Barack Obama war nie - und wollte es auch nicht sein - der Präsident der Schwarzen in Amerika.

Die Tragödie von Ferguson hat dieses Dilemma offengelegt. Ein junger Schwarzer stirbt durch die Kugeln eines weißen Polizisten - und die schwarze Minderheit in den USA schaut verzweifelt nach Washington. Sie will, dass "ihr" Präsident etwas sagt, dass er anklagt, dass er den alltäglichen Rassismus in Amerika anprangert und die Gewalt der Polizei. Aber der Mann in Washington sagt nichts dergleichen. Stattdessen mahnt er zur Ruhe, er spricht von einem rechtsstaatlichen Verfahren und nennt jene Kriminelle, die in Ferguson randalieren. Warum?

Ein Erklärungsversuch hat mit dem Amt zu tun: Obama ist der Präsident aller Amerikaner, unabhängig von der Hautfarbe. Und er ist der Chef der Exekutive. Er kann über die Vorgänge in Ferguson denken, was er will; aber er kann weder durch wütende Worte die Unabhängigkeit der Justiz antasten noch Gesetzesbrüche wie Raub und Brandstiftung gutheißen.

Die Großmutter machte abfällige Bemerkungen über Schwarze

Ein anderer Erklärungsversuch hat hingegen mit der Person zu tun: Obama, Sohn eines schwarzen Vaters aus Kenia und einer weißen Mutter aus Kansas, hat in seinem Leben durchaus Rassismus erlebt. Er selbst hat erzählt, wie er früher als Kind zusammenzuckte, wenn seine Großmutter abfällige Bemerkungen über Schwarze machte. Man hört noch heute, wie sehr ihn das damals verletzt hat. Und er weiß seit seiner Zeit als Sozialarbeiter in Chicago in den Achtzigerjahren, wie sich in Amerikas Städten Armut, Gewalt, Kriminalität und Rassismus zu einer teuflischen Gemengelage vermischen, in der dann junge schwarze Männer sterben.

Aber als politisches Thema hat Rassismus Obama offenbar nie besonders interessiert. Sein großes Thema bei seinem spektakulären ersten Auftritt auf der nationalen Bühne, im Spätsommer 2004 beim Wahlparteitag der Demokraten in Boston, war die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in Rot und Blau - in ein konservatives, republikanisches und ein liberales, demokratisches Amerika. Die Spaltung in ein schwarzes und ein weißes Amerika erwähnte Obama damals nicht.

Auch in seinem eigenen Präsidentschaftswahlkampf 2008 redete er vor allem darüber, wie er das rote und das blaue Amerika versöhnen wolle. Das mag taktische Gründe gehabt haben, denn so erreichte er mehr Wähler. Es war aber sicher auch eine Folge der politischen Sozialisation und der Generation: Schwarz gegen Weiß - für Obama, der 1961 geboren wurde, als die Bürgerrechtsbewegung schon fast gesiegt hatte, spielte dieser Kampf keine existenzielle Rolle mehr.

Bis heute hat Obama nur eine große Rede zum Verhältnis von Schwarzen und Weißen gehalten. Das war im März 2008, mitten im Wahlkampf, als er seine Beziehung zu dem radikalen schwarzen Pastor Jeremiah Wright rechtfertigen musste, der selbst durch zornige rassistische Bemerkungen über Weiße aufgefallen war. Es war eine gute Rede, voller kluger Erklärungen, warum viele Schwarze in den USA sich eben doch immer noch unterdrückt fühlen, während viele Weiße glauben, die bösen Zeiten der Rechtlosigkeit, der Rassentrennung und des Ku-Klux- Klan seien doch längst ferne Geschichte.

Aber es war auch die Rede eines Mannes, der sich zuerst als Amerikaner, erst dann als Schwarzer sieht. Schwarzer zu sein, so Obama damals, sei nur ein Teil seiner Identität; genauso gehöre aber auch seine Oma dazu, die weiße Gelegenheitsrassistin. Und er erinnerte an seine Lebensgeschichte, die eben nicht die eines ausgebeuteten Schwarzen in einer feindlichen weißen Gesellschaft ist, sondern das Gegenteil - die eines jungen Mannes mit dunkler Hautfarbe, der trotzdem Jura in Harvard studierte, Senator in Washington wurde und nun kurz davor stand, zum Präsidenten gewählt zu werden. Das, so Obama, sei nur in Amerika möglich.

Obamas Aufstieg ändert am Rassismus nichts

Finden sich andere Schwarze in dieser phantastischen Lebensgeschichte wieder? Die meisten sicher nicht. Aus jeder Sozialstatistik kann man herauslesen, dass es Schwarze in Amerika immer noch viel schwerer haben als Weiße, eine gute Ausbildung zu bekommen und einen gut bezahlten Job, dass sie stattdessen aber sehr viel schneller im Gefängnis landen oder im Leichenschauhaus. Diese Tatsache ist in Tausenden Studien erforscht und erklärt worden, nicht immer, aber oft spielt Rassismus eine wichtige Rolle. Daran ändert auch Obamas Aufstieg nichts.

Dass Obama zwei Präsidentenwahlen gewonnen hat, belegt immerhin, dass es genügend Amerikaner gibt, die keine Rassisten sind. Es belegt nicht, dass das alte Übel Rassismus besiegt wäre. Aber das ist ohnehin nicht die Aufgabe der Schwarzen, sondern die der Weißen.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2014
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