Süddeutsche Zeitung

Streit um Radpolitik:Fahrradpolitik im Schneckentempo

Lesezeit: 3 min

Union und Grüne sind sich in einem einig: Verkehrsminister Volker Wissing lasse die Radpolitik schleifen. Sie fordern mehr Radwege, Radparkhäuser und Radbrücken.

Von Georg Ismar

Auch an einem Sonntag beschäftigt Stefan Gelbhaar sein politisches Herzensthema: Er nimmt an einer Fahrraddemo gegen den Weiterbau der A 100 in Berlin teil. Viel geht es derzeit beim Streit in der Ampelkoalition zwischen Grünen und FDP darum, wie schnell und wie umfangreich neue Autobahn- und Schienenkilometer hinzukommen sollen.

Fast geht etwas unter, dass es auch beim Thema Fahrrad knirscht in der Koalition. "Verkehrsminister Wissing steht am Scheideweg: Macht er den Scheuer, also viele Worte und wenig Handeln, oder gibt es endlich mehr Mobilitätsangebote, auch jenseits des Autos", sagt Stefan Gelbhaar, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag.

Durch die Klimaziele, vor allem aber auch durch die hohen Spritkosten und die Entwicklungen im Bereich der Elektrofahrräder, wächst der Druck, schneller und unbürokratischer als bisher neue Radwege zu bauen. Für die Förderung von Radschnellwegen sollen bis 2030 weitere rund 390 Millionen Euro vom Bund zur Verfügung gestellt werden.

"Aktuell kämpft die FDP nur für Autobahnen"

Aber Gelbhaar vermisst einen großen Gesamtplan bei Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), zum Beispiel gäbe es bei Radwegen an Bundesstraßen noch großes Potenzial. "Bei den Radwegen an Bundesstraßen kann exekutiv wie auch rechtlich einiges an Planungsbeschleunigung erreicht werden. Aktuell kämpft die FDP allerdings nur für Autobahnen", stichelt Gelbhaar. Gutes Planungsmanagement brauche personelle und finanzielle Kapazitäten, "hier ist der Verkehrsminister sichtbar zurückhaltend unterwegs".

Zudem könne eine stärkere Kombination von Fahrrad und Bahn ein "Gamechanger" werden, wie in Amsterdam und Utrecht. "Die Schnittstelle sind Fahrradparkhäuser an Bahnhöfen. Hier gibt es eine planerische Entwicklung und kommunale Initiativen, allerdings immer noch eine finanzielle Zurückhaltung des Verkehrsministeriums." Die Union will nun mit einem Antrag im Bundestag offenlegen, dass in der Radpolitik insgesamt zu wenig vorangeht, zumindest in dem Punkt sind sich die größte Oppositionspartei und die Grünen als Mitregierungspartei einig.

Der Ausbau von Radwegen ist zwar in der Regel Sache von Kommunen und Ländern, aber der Bund setzt die übergeordneten Rahmenbedingungen. "Verbunden mit den hierzulande höchsten jemals beschlossenen Haushaltsmitteln in Höhe von 1,5 Milliarden Euro für die Jahre 2020 bis 2023 wurde die Förderung des Radverkehrs durch die Vorgängerregierung auf ein neues Niveau gehoben", heißt es in dem Antrag von CDU/CSU zum "Fahrradland Deutschland", der am Mittwoch im Bundestag debattiert werden soll.

Der Hauptvorwurf an Wissing: Mit dem "Nationalen Radverkehrsplan 3.0" lägen ihm viele Vorhaben zur Radverkehrsförderung vor. Entgegen den Ankündigungen im Koalitionsvertrag aber habe "die Bundesregierung bislang noch keinen einzigen Legislativvorschlag vorgelegt". Wissing hat zur weiteren Umsetzung des Radplans nun einen Förderaufruf mit einem Volumen von 15 Millionen Euro für neue Projekte gestartet, zudem hat er einen Beirat Radverkehr eingerichtet. "Ich möchte Deutschland zu einem echten Fahrradland machen", sagt er gern. Neben der Unterstützung von Ländern und Kommunen beim Neu-, Um- und Ausbau der Radinfrastruktur will er auch mehr fahrradfreundliche Kreuzungen schaffen, kündigt er an.

Die Pandemie hat den Stadtverkehr verändert

Und wie beim Vorbild Kopenhagen sollen im ganzen Land mehr Fahrradbrücken entstehen, um gefährliche Kreuzungen zu umgehen. So hat Wissing im vergangenen Jahr der brandenburgischen Stadt Eberswalde einen Förderbescheid in Höhe von 6,5 Millionen Euro übergeben, um per Radbrücke die Anbindung an den Hauptbahnhof zu verbessern. Das spare, so Wissing, Umwege von bis zu 2,8 Kilometern. "Ein sehr gutes Angebot, auch für die vielen Berufspendler nach Berlin."

Vor allem die Pandemie hat viele Städte verändert, wohl nirgends wird die Zunahme der Radwege - durch die Verringerung von Autofahrspuren - so deutlich wie in Berlin. Aber hier kamen 2022 auch zehn Radfahrer bei Unfällen ums Leben, mehrfach durch abbiegende Lastwagen - hier zeigt sich, auch, dass sich eine langjährige Autostadt nicht einfach in ein Radfahrerparadies umwandeln lässt.

Der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Bareiß (CDU), kritisiert, dass bisher viel zu wenig von Wissing komme. "Entgegen vollmundiger Ankündigungen hat sich die Bundesregierung in Sachen Radverkehr bisher vor allem durch eines ausgezeichnet: Untätigkeit", sagt er. "Dabei hätte Wissing mit dem von der Regierung Merkel geschaffenen 'Nationalen Radverkehrsplan 3.0' einen Masterplan fix und fertig auf dem Tisch. Er müsste ihn nur umsetzen."

Der Grünen-Radexperte Gelbhaar findet das zu kurz gesprungen, er sieht das Problem an anderer Stelle, aber Adressat der Kritik ist ebenfalls der Verkehrsminister. "Die Reform des Straßenverkehrsrechts hängt im Verkehrsministerium", kritisiert er. "Um eine gute Radinfrastruktur mit Fahrradstraßen, geschützten und breiten Radstreifen als auch Kiezblocks aufzubauen, braucht es diese Reform." Kiezblocks sind städtische Wohnquartiere ohne Kfz-Durchgangsverkehr. Straßenland könne dann schneller umgewidmet, andere Nutzungen des Straßenraums einfacher ermöglicht und ein Vorrang für das Rad bei den Verkehrsmitteln leichter angeordnet werden.

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