Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Drei Frauen, ein Mann und viel Schmutz

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Das Bewerberfeld für das Amt des britischen Premierministers ist so divers wie noch nie. Die Tories aber drohen in einem erbitterten Wahlkampf zu versinken, an dessen Ende es nur Verlierer geben könnte.

Von Michael Neudecker, London

Am Wochenende fand in Westminster ein sogenanntes COBRA-Treffen statt, jener Einheit der britischen Regierung, die immer dann zusammenkommt, wenn eine Notsituation eintritt. Thema war die furchteinflößende Wettervorhersage für kommende Woche, bis zu 41 Grad werden an manchen Orten Großbritanniens am Montag und Dienstag erwartet. Das Treffen musste jedoch ohne den Premierminister auskommen, Boris Johnson habe leider keine Zeit, wie Downing Street mitteilte. Am Samstag besuchte er einen Luftwaffenstützpunkt, wobei Fotos von ihm in voller Montur inklusive Helm entstanden, auf denen er gerne wie Tom Cruise in "Top Gun" ausgesehen hätte. Am Sonntag gab er eine Abschiedsparty in Chequers, dem Landsitz des britischen Premierministers.

Dass sich die Prioritäten in Johnsons Leben verschoben haben, kritisierte die stellvertretende Labour-Chefin Angela Rayner mit den Worten, er "bevorzugt es zu feiern, während das Land kocht". Schließlich ist Johnson "Caretaker Prime Minister", er hält den Posten so lange, bis die Nachfolge geklärt ist. Und das dauert. Erst am 5. September wollen die Tories ihren neuen Parteichef verkünden. Das Bewerberfeld wird nun täglich reduziert, bis zwei übrig bleiben, die dann den Parteimitgliedern zur Wahl vorgeschlagen werden.

Favorit, sowohl bei den Abgeordneten, als auch in den meisten Umfragen, ist der frühere Finanzminister Rishi Sunak. Dahinter hat sich ein erbittert geführter Kampf um den zweiten Final-Platz entwickelt. Tom Tugendhat, der einzige weiße Mann im Feld, hat wohl nur Außenseiter-Chancen. Entschieden wird das Rennen zwischen Liz Truss, Penny Mordaunt und Kemi Badenoch.

Als David Cameron 2005 gegen David Davis und fünf weitere Konkurrenten antrat, waren die Tories weit entfernt von einem derart diversen Bewerberfeld wie jetzt. Alle sieben Kandidaten waren jüngere oder ältere weiße Männer, wobei es im Parlament nicht viel besser aussah: Von den 196 Abgeordneten der Konservativen waren gerade mal 17 weiblich. "Wir, die älteste politische Partei der Welt, sahen genau so aus", schreibt Cameron in der Sunday Times. In Camerons erstem Schattenkabinett als Oppositionsführer gab es mehr Davids als Frauen.

Kemi Badenoch gilt als Vertreterin des rechten Flügels

Er selbst habe vehement versucht, das zu ändern, schreibt Cameron, und betont mit gewissem Stolz, dass Labour in seiner 122-jährigen Geschichte ausschließlich weiße Männer zum Vorsitzenden wählte, während die Tories nicht nur mit Margaret Thatcher und Theresa May bereits zwei Premierministerinnen stellten. Und auch nun, am 5. September, sehr wahrscheinlich entweder einen dunkelhäutigen Premierminister wählen werden oder eine Frau. Oder, wie in Kemi Badenochs Fall, beides.

Was das politisch bedeutet, dazu gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten im Land. Vertreter von Frauenrechtsgruppen etwa verweisen darauf, dass von den inzwischen 358 Tory-Abgeordneten derzeit immer noch "nur" 88 weiblich sind, wohingegen sich Labour aus 104 Frauen und 96 Männern zusammensetzt. Außerdem: Weder die Herkunft noch das Geschlecht legen zwangsläufig die politische Richtung fest, für die ein Premierminister steht.

Die 42-jährige Kemi Badenoch etwa, die momentan in einzelnen Umfragen unter den Mitgliedern gar auf Rang eins liegt, gilt als Vertreterin des rechten Flügels. Sie wurde im Londoner Stadtteil Wimbledon als Tochter nigerianischer Eltern geboren, ihre Kindheit hat sie in Nigeria und den USA verbracht, ehe sie mit 16 zurück nach London zog. Vor ein paar Jahren sagte sie der Daily Mail, "die Annahme, wir alle würden benachteiligt behandelt, nur weil wir dunkelhäutig sind, ist typisch für die Linke". In der ersten TV-Debatte am Freitagabend bezeichnete Badenoch zudem Penny Mordaunts mutmaßlich liberale Position in der Debatte um Transgender-Rechte als "schwierig".

Favorit Rishi Sunak wird als "Judas" und "Schlange" beschimpft

Mordaunt wiederum versucht, die Tory-Basis mit alten Thatcher-Zitaten zu befrieden, wobei es dabei vor allem um die Frage geht, wer einen Penis haben darf und wer nicht, und was das für den Gesetzgeber bedeutet. Das "Leadership Race" ist längst zu einer personalisierten Schlammschlacht geworden, aus den verschiedenen Lagern werden die Journalisten mit Details zu den Konkurrenten gefüttert. Mal kommt in der Mail on Sunday die Ex-Frau des Ex-Freundes von Penny Mordaunt mit abschätzigen Bemerkungen zu Wort, mal geht es um einen Helikopterflug, für den sie 1500 Pfund ausgegeben haben soll.

Der links-orientierte Independent berichtet mit Verweis auf interne Quellen, Liz Truss habe ihre Mitgliedschaft für Amazon Prime (79 Pfund im Jahr) als dienstliche Ausgabe eingereicht, und Rishi Sunak wird von Johnson-Loyalisten auf verschiedenen Plattformen mannigfach beschimpft, wahlweise als "Judas", "Schlange", "verräterische Schlange", "Ratte" oder auch als "Fishy Rishy", dubioser Rishi. Die Partei laufe Gefahr, warnen ältere Tories, sich vor den Augen der Nation selbst zu zerfleischen.

Keir Starmer, der Labour-Chef, sieht all dem mit kaum verhohlenem Vergnügen zu. In den vergangenen Tagen war Starmer in Berlin, er sprach mit Kanzler Olaf Scholz auch darüber, was seine Partei vom Wahlerfolg der SPD lernen könnte. Gut möglich, dass die Tories das für ihn erledigen.

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