Süddeutsche Zeitung

Deutsch-türkische Beziehungen:Berlin verabschiedet sich vom Partner Türkei

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Es reicht. Die Bundesregierung will sich nicht länger gefallen lassen, wie die Türkei mit Deutschen und Deutschland umgeht. Nach viel Ärger ist das richtig - auch wenn die verschärften Reisehinweise anderswo Probleme schaffen.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Wahrscheinlich hat Recep Tayyip Erdoğan gedacht, dass es immer so weitergehen würde. Er provoziert mit Verhaftungen, Nazivergleichen und unmoralischen Angeboten - und Berlin müht sich um einen freundlichen Ton, setzt auf Langmut und lässt sich dauerhaft düpieren.

Ja, es spricht sogar vieles dafür, dass er das dachte, weil er manche demokratische Überzeugung wie die Gewaltenteilung und Fragen der Menschenrechte für ein Gesülze verweichlichter Politiker hält - etwas, das er als Schwäche ablehnt.

Deshalb ist klar: So gut und richtig es lange Zeit war, auf Vernunft zu hoffen, so richtig und gut ist es, dass die Bundesregierung jetzt damit aufhört.

Natürlich, die Hoffnung soll zuletzt sterben. Deshalb betont Außenminister Sigmar Gabriel auch am Donnerstag, man hoffe weiterhin, dass in Ankara doch noch Vernunft einkehre. Aber die Signale der Bundesregierung sind unmissverständlich: Wir haben es immer wieder versucht, und wir sind immer wieder enttäuscht worden. Das können wir nicht mehr fortsetzen.

Also warnt Berlin alle Unternehmen vor Investitionen in der Türkei; solche könne man nicht mehr empfehlen, wenn selbst deutsche Firmen in die Nähe von Terroristen gerückt würden. Außerdem warnt die Regierung jeden einzelnen Deutschen vor Reisen in die Türkei, weil nach den jüngsten Ereignissen offensichtlich sei, dass willkürliche Verhaftungen und an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe schlichtweg jeden treffen könnten. Berlin nennt das formal noch nicht Reisewarnung, faktisch aber ist es eine. Und das wird für den Tourismus in der Türkei nicht folgenlos bleiben.

Harsche Botschaften an Erdoğan

Hinzu kommen noch zwei andere Dinge: Die Hermes-Bürgschaften sollen überdacht werden, und im Rahmen der EU werde man die Vorbeitritts-Finanzhilfen zur Diskussion stellen. In beiden Fällen müssen noch Gespräche geführt werden. Aber in beiden Fällen liegt die Antwort schon auf der Hand: Es soll sie nicht mehr geben.

Die harschen Botschaften Berlins richten sich längst nicht mehr nur an eine Seite: Sie richten sich an Erdoğan genauso wie an die Deutschen. An Erdoğan, weil er nach Ansicht aller in der Bundesregierung überzogen hat. Zumal er zumindest indirekt sogar das inakzeptable Angebot unterbreitet hatte, er sei bereit zu einer Art "Gefangenenaustausch" - Deutsche in türkischen Gefängnissen gegen türkische Ex-Generäle mit Asyl in Deutschland.

Abgesehen davon, dass Erdoğans Regierung damit offenlegt, wie wenig ihr ein Rechtsstaat bedeutet, kann die Bundesregierung derlei nur mit Abscheu von sich weisen. Sie würde selbst schwerste Verbrechen begehen, sollte sie sich auf derlei einlassen.

Mindestens ebenso wichtig ist der Beschluss der Bundesregierung für die deutsche Bevölkerung. Langmut ist gut und kann eine Position der Stärke sein; irgendwann aber wird sie zur falschen Botschaft an die Menschen. Nach dem Motto: Mit mir kann man ja doch alles machen. Nein, das kann man nicht.

Eine Demokratie verteidigt ihre Werte auch gegen schwierige Partner

Eine überzeugte Demokratie verteidigt ihre Werte gerade auch dann, wenn sie überzeugte Anti-Demokraten irgendwann nicht mehr als Partner behandelt. Das nämlich ist es, was Berlin faktisch entschieden hat: Die Türkei hat viel Geduld verdient, weil man sie als befreundetes Land und eben Partner immer noch betrachten und behandeln wollte.

Irgendwann aber ist das Konto aufgebraucht - auch zum Schutze der eigenen Selbstachtung.

Einen Haken allerdings hat das bislang Beschlossene: Das Auswärtige Amt warnt nun faktisch alle Deutschen vor Reisen in die Türkei, mag das Ganze aber nicht als Reisewarnung ausgeben. Die Konsequenz ist vor allem für alle Urlauber, die schon eine Reise gebucht haben, erheblich. Solange eine Reisewarnung des AA formal keine sein soll, sind die Reiseunternehmen nicht automatisch bereit, Umbuchungen anzunehmen. Und die Versicherer der Reiseunternehmen sind nicht bereit, die im Zweifel anfallenden Kosten zu übernehmen.

Anders ausgedrückt: Wenn die Reiseunternehmen nicht betont kulant sind, muss der einzelne Urlauber die Kosten tragen, sollte Gabriels Pressekonferenz ihn in seiner Reiseplanung beeinflusst haben. Das schafft Probleme, wo Probleme nicht auftauchen dürften.

Und dann wäre da auch noch das Problem, das sich mit der SPD verbindet. Es stellt sich nämlich die Frage, ob es schlau vom Kanzlerkandidaten Martin Schulz war, in den vergangenen Tagen die Kanzlerin wegen ihrer Türkei-Politik zu attackieren. Solange er Vorschläge macht, wie der Kurs seiner Ansicht nach aussehen müsste, ist das seine Überzeugung und vollkommen in Ordnung. Absurd wurde es, als er mit seiner harschen Kritik den Eindruck vermittelte, Merkel habe die deutsche Außenpolitik in den vergangenen vier Jahren quasi alleine betrieben.

Man kann das machen. Aber man sollte wissen, dass man dann die eigenen Minister komplett ignoriert und vergisst, dass diese Außenminister den Türkei-Kurs vier Jahre lang mitgetragen, ja sogar mitgeprägt haben. Wie sagte es Gabriel am Donnerstag: Eine verlässliche deutsche Außenpolitik ist ein Wert an sich. Das ist richtig. Aus diesem Grund hat er auf jede Kritik an der Kanzlerin verzichtet.

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