Süddeutsche Zeitung

Polen:Acht Jahre Wut

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Im Wahlkampf wirbt die Oppositionsliste Koalicja Obywatelska um die Stimmen der Frauen. Dem hat die regierende PiS wenig entgegenzusetzen.

Von Viktoria Großmann, Warschau/Łódź

Jetzt haltet mal alle den Mund! So ist die Aufforderung der Frauen zu verstehen, die sich auf diesem Video einen Finger auf den Mund legen. Den ausgestreckten Mittelfinger. "Wir werden nicht länger zusehen, wie ältere Herren über unser Leben entscheiden", schreiben die Autorinnen der Kampagne dazu. "Die Stimme der Frauen und Mädchen muss endlich gehört werden, denn wir sind 52 Prozent der Bevölkerung." An diesem Sonntag wird in Polen ein neues Parlament gewählt.

Acht Jahre PiS-Regierung, daran erinnert dieser Spot der Initiative Wschód (Aufgang), waren geprägt von Beleidigungen und Angriffen auf Frauen. Zitiert wird etwa der PiS-Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński, wie er vor einem knappen Jahr den jungen Polinnen vorwarf, zu viel zu trinken - deshalb sei die Geburtenrate in Polen so niedrig. Ein anderer Politiker erklärt, für Frauen sei Bildung nicht so wichtig. Der Titel der Kampagne: Wir werden nicht mehr still sein.

"Sie hassen Frauen", sagt Dorota Łoboda, die für die Oppositionsliste Koalicja Obywatelska für einen Sitz im Sejm kandidiert. Von Anfang an sei die PiS gegen Frauen vorgegangen. Am meisten Aufsehen auch international erregte der Kampf um das Abtreibungsrecht, dass die PiS so verschärfte, dass Schwangerschaftsabbrüche beinahe unmöglich wurden. Zudem, kritisiert Łoboda, sei die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt nicht umgesetzt worden. Schon 2016 erhob sich der "Frauenstreik", Zehntausende demonstrierten in den vergangenen Jahren in ganz Polen gegen die Regierung. Vor allem, nachdem mehrere Fälle bekannt geworden waren, bei denen Ärzte schwangeren Frauen eine angemessene Behandlung verweigerten - und die Frauen deshalb mit ihrem ungeborenen Kind starben.

Auf den Plakaten steht schlicht: "Wähle Abtreibung"

Neben Wschód rufen auch andere Organisationen gezielt Frauen auf, zu wählen. Da gibt es zum Beispiel die fliederfarbene Plakataktion mit dem Titel "Ich unterstütze den Erfolg der Frauen", die unter anderem von der sozialwissenschaftlichen Universität SWPS in Warschau initiiert ist. Auf den grasgrünen Postern von Strajk Kobiet - Frauenstreik - steht schlicht: "Wähle Abtreibung".

Kürzlich wandte sich auch ein Regierungspolitiker an die Frauen. Er hoffe, sagte Janusz Kowalski, dass die Polinnen die PiS wählten. Denn nur die "garantiert den Frauen Sicherheit". Sicherheit wovor? Vor illegalen Immigranten. Denn in "Deutschland, Schweden, Frankreich, Italien und Spanien trauen sich die Frauen nicht mehr, auf die Straße zu gehen". Sicherheit ist eines der großen Schlagworte der PiS im Wahlkampf.

Unter Sicherheit versteht die Opposition etwas anderes. "Frauen in Polen haben Angst, schwanger zu werden, ein Kind auf die Welt zu bringen, eine Familie zu gründen", sagt eine junge Kandidatin der Koalicja Obywatelska (KO) am Dienstagabend in Łódź. Die Mehrparteienliste unter Führung des früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk ist die größte Konkurrenz für die PiS. Am Dienstag lud die KO zu einer Wahlkampfveranstaltung eigens für Frauen in die Industriestadt westlich von Warschau ein.

Rednerinnen beklagen mangelnden Schutz vor häuslicher Gewalt

Frauen, erklären mehrere Rednerinnen, fühlten sich bedroht, weil sie keine gute gynäkologische Versorgung erhielten. Weil sie vor allem in der Schwangerschaft Angst haben müssten, bei Komplikationen keine Hilfe zu erhalten - weil das Leben des Fötus über das Leben der Frau gestellt würde. Und auch weil sie durch die Gesetze nicht ausreichend vor häuslicher Gewalt geschützt würden.

Donald Tusk sagt an diesem Abend nicht viel, seine Aufgabe ist es, in der ersten Reihe zu sitzen und den Kandidatinnen seiner Partei zuzuhören. Nur zu Beginn versichert er in seiner Rede, seine Partei werde die Gesundheitsversorgung entscheidend verbessern und die Fristenregelung für Schwangerschaftsabbrüche einführen.

Dass die eigentlich eher konservativ eingestellte Partei, die inhaltlich der CDU nahesteht, das in ihr Wahlprogramm geschrieben hat, verbucht Dorota Łoboda als Erfolg der Aktion Frauenstreik. Łoboda ist nicht Mitglied der Partei, kandidiert aber in Warschau auf ihrer Liste, das Gesicht der blonden Frau mit den Ohrringen in Regenbogenfarben schmückt derzeit Stadtbusse und Gartenzäune. Sie arbeitet in der Stadtverwaltung und hat sich von Beginn an für Strajk Kobiet engagiert.

"Meine Kandidatur zeigt den Wählerinnen, dass wir nicht nur auf die Straße gehen, sondern diese Anliegen auch ins Parlament bringen", sagt sie in ihrem Wahlkampfbüro nahe dem Sejm. Der 48-Jährigen ist angesichts der recht guten Umfragewerte der KO und ihrer guten Listenplatzierung ein Sitz im Parlament beinahe sicher.

"Die Menschen in Polen sind sehr viel progressiver als die Parteien."

"Die Menschen in Polen sind sehr viel progressiver als die Parteien", sagt sie. Auch als die KO. Diese aber habe gelernt und ihr Wahlprogramm entsprechend angepasst. Vor allem für die Frauen sei diese Wahl entscheidend. Es gehe nicht nur um das Recht auf Abtreibung, sondern grundsätzlich um das Recht auf Verhütung und Familienplanung.

Nach Untersuchungen etwa des Europäischen Parlaments, das regelmäßig den European Contraception Policy Atlas herausgibt, belegt Polen einen der hinteren Plätze in Europa, wenn es um die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln und die dazugehörige Aufklärung geht.

"Wir werden die Gewissensklausel abschaffen", verspricht Łoboda. Auch diese ist eine Erfindung der PiS-Regierung. Ärzte und auch Apotheker können sich auf diese berufen und müssen dann keine Verhütungsmittel verschreiben oder ausgeben und können so auch Schwangerschaftsabbrüche verweigern. "Vor allem für Frauen in ländlichen Gebieten ist es schwierig, einen Arzt zu finden, dem sie vertrauen können und der ihnen hilft", sagt die KO-Kandidatin.

In Łódź jubeln die Frauen zum Abschluss der Veranstaltung noch einmal dem 66-jährigen Donald Tusk zu. Auch bei den anderen Parteien dominieren männliche Spitzenkandidaten. Die Rechte der Frauen liegen weiterhin in der Hand mächtiger Männer.

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