Süddeutsche Zeitung

Polen und die EU:Einlenken oder Vorwand?

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Polens Regierung schafft die umstrittene Disziplinarkammer für Richter ab. Jetzt könnte sie Geld aus dem EU-Wiederaufbaufonds bekommen, das Brüssel wegen der Justizreform blockiert hat. Alles erledigt also? Die Opposition mag das nicht glauben.

Von Björn Finke, Brüssel, und Viktoria Großmann, Brüssel/München

Es sieht aus wie eine Revolution: Polens Regierung schafft die Disziplinarkammer für Richter ab. Am Donnerstagnachmittag wurde eine entsprechende Gesetzesänderung im Sejm verabschiedet. Es soll ein Einlenken gegenüber der EU-Kommission in Brüssel sein, die bislang die Mittel aus dem Corona-Wiederaufbaufonds für Polen zurückhält - bis 2026 insgesamt 24 Milliarden Euro an Zuschüssen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Darüber hinaus zwölf Milliarden Euro an zinsgünstigen Krediten.

Der Streit mit der Kommission ist fast so alt wie die von der PiS geführte Regierung. Schon 2016, im Jahr nach deren Wahl, eröffnete die EU einen sogenannten Rechtsstaatsdialog, 2017 begann der Europäische Gerichtshof (EuGH), sich mit Polens Justiz zu befassen.

Ungeachtet dessen schaffte die rechtspopulistische Regierung die Gewaltenteilung praktisch ab. Die Kammer zur Disziplinierung von Richtern wurde schließlich vom EuGH für nicht rechtmäßig erklärt, und es wurden Strafzahlungen verhängt. Die Kommission hat die Zwangsgelder für die ersten beiden Monate mit Überweisungen verrechnet, weil Polen nicht zahlte. Nun soll dieser Streit also ein Ende haben. Hat das Geld gesiegt?

Auch aus dem EU-Parlament kommen Bedenken: Es könnten "Scheinreformen" sein

Die Regierung gibt sich jedenfalls siegesgewiss, dass in der kommenden Woche die Zusage aus Brüssel kommen wird. Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen wird am Donnerstag in Warschau erwartet.

Aus Sicht der Opposition aber ist die Sache längst nicht geregelt, sie kritisiert die Reform als völlig unzureichend. Der Anwalt Michał Wawrykiewicz von der Initiative Freie Gerichte wandte sich in einem Tweet direkt an die Europäische Kommission. Mit dem neuen Gesetz sei keine der Bedingungen der Kommission erfüllt: "Man muss die Urteile des EuGH vom Juli 2021 wirklich umsetzen, nicht nur so tun", schreibt er. Damals hatte der EuGH festgestellt, dass Polen gegen EU-Recht verstößt.

Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte schon am Dienstag beim EU-Finanzministertreffen, er glaube, dass eine Einigung mit Polen "in den allernächsten Tagen oder innerhalb einer Woche" möglich sei. Eine Sprecherin der Kommission betont aber, von der Leyens Reise werde nur stattfinden, wenn bis dahin der Disput um die Corona-Hilfen wirklich beigelegt sei.

Selbst wenn von der Leyen kommt, wird es noch dauern, bis die erste Überweisung eingeht: Die Kommission und die Regierung hätten sich dann nur darauf verständigt, welche Bedingungen Polen bei der Rechtsstaatlichkeit erfüllen muss, um die Zuschüsse erhalten zu können. In einem nächsten Schritt müsste die Brüsseler Behörde prüfen, ob diese sogenannten milestones, also die vereinbarten Zwischenziele, beim Schutz der Rechtsstaatlichkeit wirklich erreicht worden sind. Erst danach fließt Geld.

Trotzdem kommt aus dem Europaparlament bereits Kritik: Der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund warnt, die Kommission dürfe sich "nicht durch Scheinreformen täuschen lassen". Die Änderung dürfe "nicht als Vorwand dienen, viele Milliarden Euro auszuzahlen, für die es keine unabhängige Kontrolle gibt, ob sie auch ankommen, wo sie hingehören". Schließlich habe die Regierungspartei PiS die "Justiz seit Jahren nach sowjetischem Vorbild umgebaut und die Angriffe seit Beginn des Krieges in der Ukraine noch beschleunigt".

Freund lehnt sich damit an die von polnischen Regierungskritikern häufig gezogenen Vergleiche mit Russland und dem System Putin an. Das war auch jetzt wieder zu hören. "Wer den Polexit fordert, drängt Polen in die Hände des Kreml", schrieb Kamila Gasiuk-Pihowicz auf Facebook, die Abgeordnete hatte mit ihrer Partei, der oppositionellen Bürgerplattform (PO), ebenfalls für Donnerstag ein Misstrauensvotum gegen Justizminister Zbigniew Ziobro angestrengt. Da er das EU-Recht nicht anerkennen wolle, führe sein Kurs Polen zwangsläufig aus der EU, lautet ein Vorwurf. Die Abstimmung blieb erfolglos. Knapp war sie allemal, exakt die vorgeschriebene Mehrheit von 231 Abgeordneten sprach Ziobro das Vertrauen aus.

Seine Kritiker nennen ihn auch den "teuersten Minister der Welt". Unter Ziobros Führung seien die Gerichte langsamer und ineffizienter geworden. Zudem war er es mit seiner Partei Solidarna Polska, der bis zuletzt auch die nun beschlossene Reform bekämpft, einen heftigen Koalitionsstreit ausgelöst - und damit die Zahlungen aus Brüssel aufgehalten hatte.

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