Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge:Wie Geistliche in Polen Ängste vor Flüchtlingen schüren

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Von Florian Hassel, Warschau

Erzbischof Stanisław Gądecki ist seinem Chef voraus gewesen. Als Papst Franziskus am vergangenen Sonntag dazu aufrief, jede katholische Gemeinde, jedes Kloster solle eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen, hatte der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz bereits den circa 33 Millionen Katholiken des Landes ins Gewissen geredet.

"Es ist notwendig, dass jede Gemeinde Platz für diejenigen vorbereitet, die verfolgt sind", sagte der Erzbischof am Samstag vergangener Woche. Die Florians-Gemeinde im westpolnischen Posen ließ sich nicht lange bitten - und sammelte bei der sonntäglichen Kollekte umgerechnet 5700 Euro, um eine Unterkunft für Flüchtlinge anzumieten.

Derlei Hilfsbereitschaft ist freilich nur ein Teil der Wahrheit. Vor der Papst-Initiative fielen Polens Bischöfe im europäischen Flüchtlingsdrama vor allem durch Schweigen auf. Zwar sind mehr als neun Zehntel der Polen offiziell Katholiken. Gleichzeitig sind viele von ihnen Fremden gegenüber wenig aufgeschlossen.

Das gilt auch für die Regierung und erst recht für die an die Macht drängende Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Vor allem die PiS, zu vergangenen Regierungszeiten besonders enger Partner der katholischen Kirche, ist gegen die Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen. Erst recht ist sie gegen Flüchtlingsquoten der EU: Das unterstrich Andrzej Duda, der von der PiS gestellte neue Präsident Polens, erst am Dienstag wieder.

Die Noch-Ministerpräsidentin tut so wenig wie möglich

Wenn überhaupt, sagte Beata Szydło, PiS-Kandidatin für das Amt der Regierungschefin, solle Polen im Ausland lebende Landsleute zurückholen: Dieser Topos wird seit Jahren umso liebevoller gepflegt, als kaum ein Auslandspole tatsächlich heimkehrt.

Die Anti-Flüchtlings-Haltung der PiS ist mehrfach von Bedeutung: Die PiS liegt in den Umfragen weit vorn und wird nach der Parlamentswahl am 25. Oktober voraussichtlich Polens nächste Regierung stellen. Derart bedrängt, tut Noch-Ministerpräsidentin Ewa Kopacz in der Flüchtlingspolitik so wenig wie möglich. Und auch die katholische Kirche, in der große Teile wieder auf mehr Einfluss im Staat hoffen, zeigt sich tatsächlich nicht als Anhängerin einer Aufnahme vieler Flüchtlinge.

Zwar gehen Polens Bischöfe nicht so weit wie der ungarische Bischof László Kiss-Rigó, der den Papst offen kritisierte und von einer "Invasion" durch muslimische Flüchtlinge sprach, die "Allah ist groß" riefen und Ungarn erobern wollten. Doch auch in Polen machen Geistliche seit Monaten gegen muslimische Flüchtlinge mit dem Argument Stimmung, sie könnten - etwa als eingeschmuggelte Terroristen des Islamischen Staates (IS) - Polens Sicherheit gefährden.

Der Krakauer Bischof Tadeusz Pieronek, Ex-Vorsitzender der Bischofskonferenz, sekundierte am Mittwoch in einem Interview der Tageszeitung Fakt, Ängste vor muslimischen Flüchtlingen seien "berechtigt". Es werde immer schwierig sein, Muslime von Kämpfern des IS zu unterscheiden. Der Bischof bekräftigte deshalb, die Kirche solle "ihre Türen für syrische Christen öffnen".

Die Bischöfe sehen die Verantwortung für Flüchtlinge in erster Linie bei der Regierung

Um die Unterbringung von Flüchtlingen soll sich nun die polnische Caritas kümmern. Die Rede ist zunächst nur von einigen Hundert Menschen. In erster Linie, erklärten die Bischöfe, liege die Verantwortung für Flüchtlinge bei der Regierung. "Sie ist die gefragte Seite - sie muss auch die Kontrolle, Sicherheit und Leistungen für die Flüchtlinge garantieren."

Auch die Caritas wartet erst "auf offizielle Informationen, wie viele Flüchtlinge wir aufnehmen, wann sie kommen und wie die Finanzierung aussieht", erklärte Caritas-Sprecher Paweł Keska im polnischen Radio. Zwar verfügt die Caritas über fünf Einrichtungen für Flüchtlingshilfe, doch dies sind keine Wohnheime, sondern nur Empfangszentren für Beratungen.

Polen will vorerst 2000 Flüchtlinge aufnehmen

Zwar könne die Caritas auch Kircheneinrichtungen wie Rehabilitationszentren für die Aufnahme von Flüchtlingen umrüsten - eine Planung dafür gebe es bisher allerdings nicht, so Keska. Auch dafür seien Gespräche mit Polens Regierung nötig.

Diese bekräftigte noch am Samstag vergangener Woche nach einer Krisensitzung, das 38,5 Millionen Bürger zählende Polen wolle weiter erst einmal nur 2000 Flüchtlinge aufnehmen. Zwar ergänzte Ministerpräsidentin Kopacz später, diese Zahl könne sich noch erhöhen. Am Mittwoch traf sich die Regierungschefin zu Beratungen mit den im Parlament vertretenen Parteien.

Zustimmung für die Aufnahme von noch einmal circa 9300 Flüchtlingen, wie von der EU-Kommission gefordert, ist allerdings nicht in Sicht, ebenso wenig Eile bei den bisher bewilligten 2000 Flüchtlingen. Die Sprecherin der polnischen Ausländerbehörde, Ewa Piechota, erklärte Fakt, die ersten würden wohl erst im April 2016 nach Polen kommen - wenn sie die gesamte von Warschau verlangte Überprüfungsprozedur durchlaufen hätten.

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SZ vom 10.09.2015
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