Süddeutsche Zeitung

Platzeck-Interview:"Viele Übereinstimmungen mit der Linken"

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Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck über die rot-rote Annäherung in Land und Bund und das SPD-Dilemma.

Constanze von Bullion

Bei den Koalitionsverhandlungen in Brandenburg legen SPD und Linkspartei ein hohes Tempo vor. Ministerpräsident Matthias Platzeck über die rot-rote Annäherung in Land und Bund und das SPD-Dilemma.

SZ: Herr Platzeck, Ihre Koalitionsgespräche wirken so harmonisch. Wer frisst da eigentlich wem aus der Hand?

Platzeck: Wir hatten schon bei den Sondierungen ein konstruktives Klima. die Gespräche sind an der Sache orientiert, und beiden Seiten ist klar, dass harte Jahre bevorstehen. Das hat mit der Wirtschaftskrise zu tun, mit einbrechenden Steuereinnahmen und damit, dass es schwieriger wird, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu organisieren.

SZ: Brandenburg steht ein massiver Stellenabbau im öffentlichen Dienst bevor. Trägt die Linkspartei ihn mit?

Platzeck: Ich mache hier keinen Unterschied zwischen Linkspartei und SPD. Wenn schwierige, durch den Haushalt determinierte Beschlüsse zu fassen sind, ist das für jede Partei ein Problem. Dafür erntet man nie Beifall, aber oft Protest.

SZ: Im Landeshaushalt fehlen bald 1,5 Milliarden Euro. Da gibt es keine Reserven für neue Wohltaten.

Platzeck: Es geht nicht darum, mehr zu verteilen, unser Haushaltsvolumen wird bis 2019 um etwa 20 Prozent kleiner. Die Frage ist, wie man das Wenige klug einsetzt. Wir werden noch deutlicher Prioritäten setzen müssen, uns auf die Schwerpunkte bei Bildung, Wissenschaft und Technologieförderung konzentrieren, noch gezielter regionale Wachstumskerne fördern. Aber wir müssen auch verhindern, dass eine soziale Schieflage entsteht und Menschen Aufstiegschancen abgeschnitten werden.

SZ: Rot-Rot sorgt nur für halbherzige Proteste im Land. Wie kommt das ?

Platzeck: Kritik ernten wir schon. Von der CDU zum Beispiel kommen steile Sprüche. Ich möchte nur daran erinnern, dass der einzige CDU-Landrat in Brandenburg sich seit fast zwei Jahrzehnten von der Linkspartei wählen lässt. Diesmal hat ihm die Linke auch die Wiederwahl organisiert. In Cottbus hat die CDU mit der Linkspartei einen gemeinsamen Bürgermeisterkandidaten gestellt, gegen uns. Und diese CDU wirft mir jetzt Verrat vor. Ich finde das pharisäerhaft.

SZ: Es scheint Sie auch zu treffen.

Platzeck: Es ist Zeit, dass wir aufhören, mit Schaum vor dem Mund zu diskutieren. Für mich heißt Demokratie auch, anderen die Fähigkeit des Dazulernens zuzubilligen. Wir können nicht sagen, wir haben 1989 den Stab über den Eliten der DDR gebrochen, und dabei bleiben wir. So funktioniert Demokratie nicht. Wir dürfen auch nicht länger ignorieren, dass im Osten eine wachsende Gruppe nicht mehr teilnimmt, höchstens noch protestiert. Es macht sich da eine Haltung breit: Macht doch mal euer Deutschland. Wer die Augen davor verschließt, braucht sich nur die politische Landkarte nach der Bundestagswahl anzuschauen. Da breitet sich die Linkspartei aus.

SZ: Was schlagen Sie vor?

Platzeck: Uns muss klar werden, dass es nicht hilft, sie nur auszugrenzen.

SZ: Warum laufen gerade der SPD im Osten so viele Wähler zur Linken weg?

Platzeck: Wir haben nicht alles richtig gemacht. Es war auch ein Urfehler, dass die Ost-SPD sich bei ihrer Gründung geweigert hat, ehemalige SED-Mitglieder aufzunehmen. Wenn über zwei Millionen SED-Mitglieder in der DDR lebten, dabei die halbe technische Intelligenz, fast die ganze Akademie der Wissenschaften, dann war es gewagt zu sagen: Wir wollen mit euch nichts zu tun haben.

SZ: Bedauern Sie, dass die SPD diese Akademiker an die Linke verloren hat?

Platzeck: Wir haben sie nicht verloren, sondern nicht bekommen.

SZ: Die Aufnahme politisch belasteter SED-Leute hätte die DDR-Aufarbeitung noch bescheidener ausfallen lassen.

Platzeck: Die Aufarbeitung ist nicht bescheiden ausgefallen. Sie ist auch nicht beendet. Sie muss und wird weitergehen. Wir haben Institutionen wie in keinem anderen ehemaligen Ostblockland, die sich nur mit Aufarbeitung befassen. Als wir in Brandenburg die Verwaltung aufgebaut haben, wurde niemand eingestellt, der bei der Staatssicherheit denunziert hatte. Damit ist eine Reinigung erfolgt, wie sie nach dem Dritten Reich in Westdeutschland nie erfolgt ist.

Lesen Sie weiter, wie Matthias Platzeck zum neuen SPD-Chef Sigmar Gabriel und zu Kerstin Kaisers Stasi-Vergangenheit steht.

SZ: Kerstin Kaiser von der Linkspartei war bei der Stasi und wollte Ministerin werden. Warum wird sie es nicht?

Platzeck: Auch wenn Frau Kaiser sehr offen mit ihrer Vergangenheit umgegangen ist, haben wir rechtzeitig signalisiert, dass das nicht geht. Es ist ein Akt der politischen Hygiene und des Respekts vor den Opfern. Da gibt es Zumutungsgrenzen.

SZ: Geht Rot-Rot jetzt auch im Bund ?

Platzeck: Wir sollten unaufgeregter entscheiden, was geht und was nicht. Es ist nicht mehr zielführend, zu sagen: mit den Linken nie und nimmer. Wir müssen nüchtern analysieren, was passt, was passt nicht. Und da sage ich, anders als vor fünf oder zehn Jahren, auf Landesebene gibt es viele Übereinstimmungen.

SZ: Wir waren bei der Bundesebene.

Platzeck: Auf Bundesebene muss man genauso nüchtern hinsehen. Das außenpolitische Programm ist völlig inkompatibel. Ich sehe bei der Linken aber eine gewisse Fähigkeit dazuzulernen, etwa in der Afghanistandebatte. Kann sein, dass sich da mehr Kompatibilität herstellt in den nächsten Jahren

SZ: Rot-Rot ist bis 2013 also denkbar?

Platzeck: Das weiß ich nicht, aber meine feste Überzeugung ist, dass Demokratie nur funktioniert, wenn demokratische Parteien einander nicht grundsätzlich für inkompatibel halten.

SZ: Klaus Wowereit will die Agenda 2010 korrigieren. Stimmen Sie ihm zu?

Platzeck: Wir sollten jetzt nicht so tun, als wären wir bei den Beschlüssen zur Agenda 2010 nicht dabei gewesen. Deutschland ist in den elf Jahren der SPD-Regierungsbeteiligung ein moderneres und wettbewerbsfähigeres Land geworden. Darauf können wir stolz sein. Aber es wäre verrückt zu sagen, wir haben keinen Fehler gemacht. Wir haben nicht alle Folgen der Agendapolitik vorhersehen können.

SZ: Wo sehen Sie Korrekturbedarf?

Platzeck: Wir haben schon auf dem Hamburger Parteitag darüber diskutiert, ob es gerecht ist, dass jemand, der 30 Jahre gearbeitet hat, nach Verlust seines Arbeitsplatzes automatisch in den gleichen Status rutscht wie jemand, der nie einen Betrieb von innen gesehen hat. Das haben die Menschen nicht angenommen, und das finde ich verständlich. Und wenn man sich die Rente mit 67 anguckt, muss man sagen: Es gibt Berufe etwa die Dachdecker, die vermutlich nicht bis zum 67. Lebensjahr arbeiten können. Da müssen Lösungen gefunden werden. Seien wir doch ein bisschen offener und nicht so apodiktisch.

SZ: Das entspricht Wowereits Linkskurs. Was wollen Sie sonst noch ändern?

Platzeck: Auch beim Thema Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger, das Schwarz-Gelb jetzt anschneidet, ist es richtig, Änderungen vorzunehmen.

SZ: Die ehemalige SPD-Spitze ist sauer auf ihre Kritiker in der Partei. Wurden die Realos im Regen stehen gelassen?

Platzeck: Wenn wir 23 Prozent kriegen, dann wissen Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering genau, dass das Emotionen ohne Ende frei setzt. Das müssen wir aushalten.

SZ: Fehlt es der SPD an überzeugenden neuen Führungspersönlichkeiten?

Platzeck: Ich glaube, Sigmar Gabriel kann sehr gut Inhalte transportieren, streitige Debatten aushalten und von vorne führen. Er ist ein guter Anführer. Ich finde auch das Spektrum derer, die als Stellvertreter vorgeschlagen wurden, eine gute Aufstellung. Es wird darauf ankommen, dass sie in dieser Phase der Wiederfindung signalisieren: Wir wollen das zusammen machen.

SZ: Klingt ziemlich skeptisch.

Platzeck: Es ist mein Wunsch, und mehr als das: Es ist eine Notwendigkeit.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2009
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