Süddeutsche Zeitung

Österreich und Großbritannien:Wenn es in Europa dunkel wird

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Stimmen die Österreicher für einen Rechtspopulisten und die Briten für den Austritt, würde das die EU verändern.

Kommentar von Nico Fried

Wie einen guten Freund, von dem man beim Abschied nicht sicher sagen kann, wann und wie man ihn wieder trifft - so sollten die Bürger Europas an diesem Wochenende ihre politische Gemeinschaft betrachten. Denn wenn es am Sonntag dunkel wird, könnte diese Europäische Union nach der Wahl in Österreich ein rechtspopulistisches Staatsoberhaupt in ihren Reihen haben. Und in wenigen Wochen entscheiden die Briten über einen Austritt aus der EU. Läuft es also richtig schlecht, gibt es in der Union bald einen Präsidenten, der sie nicht zu schätzen weiß, und einen ganzen Staat, der nicht mehr dazugehören will. Es wäre ein anderes Europa.

Früher galt die Regel, dass die EU an ihren Krisen politisch wächst. Irgendwann ist sie aber nur noch geografisch gewachsen. Jetzt schiebt sie immer mehr Krisen vor sich her. Das liegt auch an den Problemen, die sich verändert haben, weil sie nicht nur, aber immer öfter jenseits der Grenzen Europas ihren Anfang nehmen. So war das in der Finanz-, die zu einer Wirtschafts- und Euro-Krise wurde, so war es in der Flüchtlingskrise. Das mindert die Möglichkeiten der Politik und mehrt den Verdruss der Bürger, auch wenn paradoxerweise nichts anderes jemals Wert und Wohlstand Europas so manifestiert hat wie der unbedingte Wunsch von Millionen Menschen, aus Krieg und Not hierher zu entkommen.

Es entbehrt nicht der Ironie: In einem Europa, in dem sich viele Menschen politisch übergangen fühlen und das institutionell ja unbestreitbar an einem Demokratiedefizit leidet, hat nun in zwei wegweisenden Fragen das Volk zu entscheiden. Ganz neu ist das nicht, schon manches Referendum hat europäische Entwicklungen aufgehalten - und Europa hat schon manches Referendum ausgehalten. Alle diese Abstimmungen haben die europäische Integration aber nur verzögert, gelegentlich verändert. Doch die Entscheidungen, die jetzt anstehen, könnten einen Wendepunkt darstellen, ja einen Zerfall initiieren, vor allem, wenn sich ihre Folgen gegenseitig potenzieren.

Die Wähler in Österreich und Großbritannien stehen vor einer anspruchsvollen Aufgabe

Ein europafeindlicher Präsident in Wien, der womöglich gleich noch ein neues Parlament samt Regierung wählen ließe, wäre ein ermutigendes Signal für Populisten in vielen Ländern. Dasselbe gilt für einen Brexit, dessen größtmöglicher Schaden für Europa gar nicht darin bestünde, dass zum ersten Mal ein Land aus der EU austritt - sondern dass es nicht das letzte Land sein könnte.

Die Theorie besagt, dass Europa nur als Gemeinschaft der Globalisierung begegnen kann, nur als Wirtschaftsunion dem internationalen Wettbewerb standhalten und nur als geeintes Europa in den außenpolitischen Krisen ernst genommen wird. Daran kann auch kein ernsthafter Zweifel bestehen. Allerdings ist die Praxis eben oft von Mängeln behaftet, auch weil nationale Egoismen dem hehren Anspruch zu oft widersprechen. Trotzdem wäre das allermeiste ohne die Europäische Union noch schwerer und manches unmöglich. Die Wähler in Österreich und mehr noch in Großbritannien müssen dieser Einsicht folgen. Das ist viel verlangt, denn es bedeutet, dass sie sich bedeutend klüger zeigen mögen als mancher Politiker, der sie in diese Lage gebracht hat. Aber was wäre das für eine gelungene Werbung für die Demokratie. Und für Europa.

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Quelle:
SZ vom 21.05.2016
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