Süddeutsche Zeitung

Österreich:Albtraumhafter Auftritt

Lesezeit: 2 min

Wie Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) den Spionageskandal um Egisto Ott - nicht - erklärt.

Kolumne von Cathrin Kahlweit

Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, stelle ich mir vor, dass Gerhard Karner Vizekanzler der Republik Österreich wird. Das könnte passieren, wenn die FPÖ die Nationalratswahl im Herbst gewonnen hat und die ÖVP doch lieber mit den von 2017 bis 2019 so verlässlichen Blauen als mit den wildgewordenen Sozialisten von Andreas Babler regieren will. Wenn Karoline Edtstadler als EU-Kommissarin endlich offen Viktor Orbán verteidigen darf. Und Karl Nehammer, weil er einmal zu oft gesagt hat, er werde nicht mit Herbert Kickl regieren, in die vorzeitige Rente geschickt wird. Oder nach Niederösterreich.

Vielleicht will ich auch gar nicht schlafen, damit mir diese Vision keine Albträume verursacht. Jedenfalls schlafe ich in letzter Zeit schlecht - und Gerhard Karner ist schuld.

Die ganze Misere hat begonnen, als der Mann, der seit 1996 von der ÖVP und für die ÖVP lebt, vom Bürgermeister von Texingtal zum Innenminister befördert wurde. In seiner Heimatgemeinde, wir erinnern uns, gab es das Museum für den Austrofaschisten Engelbert Dollfuß. Dem "Erneuerer Österreichs", wie es auf einer Marmortafel am Gebäude hieß. Eröffnet wurde das Museum 1998 von Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll, finanziert von der Gemeinde, dem Land, dem ÖVP-Bauernbund.

Karner verteidigte das Dollfuß-Museum, das eine höchst unkritische Ausstellung präsentierte, als Beitrag zur kritischen Aufarbeitung. Als er Innenminister wurde, wurde er selbst kritisch gegenüber Dollfuß und war mit einer "konstruktiven Auflösung" einverstanden. Was soll ich sagen: Die Auflösung wurde ohne Aufarbeitung beendet.

Nun sollte sich Karner im ORF zum Spionageskandal um Egisto Ott erklären. Der ist dabei, sich zu einer nationalen Peinlichkeit ersten Ranges zu entwickeln, in der sich Österreich einmal mehr als Land der Opfer, nicht der Täter sieht. Täter - das sind - Ott, Marsalek, Kickl und Putin. Opfer sind all jene, die es seit weit mehr als sieben Jahren nicht geschafft haben, einen Spionagering aufzudecken, vor dem intern und von internationalen Diensten gewarnt wurde. Und dessen Mitglieder entweder suspendiert und verhaftet, in den Krankenstand oder gleich nach Dubai verabschiedet wurden.

Das Interview war das Albtraumhafteste, was ich im österreichischen Fernsehen gesehen habe. Und ich habe schon viel Albtraumhaftes gesehen. Die ÖVP, so viel war nach 16 Minuten und 20 Sekunden klar, ist das eigentliche Opfer, und Karner forderte: "Seien wir doch froh, dass da etwas aufgedeckt wurde." Vielleicht sollte ihm jemand sagen, dass da fast ein Jahrzehnt lang vor allem etwas zugedeckt wurde. Und dass die wichtigsten Aufdecker nicht in Österreich saßen. Und dass die ÖVP bis auf knapp zwei Jahre seit Langem das Innenministerium führt.

Wenn Karner dann von Herbst an Vizekanzler unter Kickl ist und ich dauerhaft in ein Schlaflabor übersiedelt bin, wird Blau-Schwarz vermutlich die Auflösung von Verfassungsschutz und Nachrichtendiensten ankündigen. Und die Aufklärung wird dann gleich der FSB, der russische Geheimdienst, übernehmen.

Diese Kolumne erscheint auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung der SZ zu Österreich bündelt. Gleich kostenlos anmelden .

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.6539186
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.