Süddeutsche Zeitung

Interview am Morgen: Kommunalwahlkampf in NRW:"Wir Frauen dürfen nicht nur vom Rand zugucken"

Lesezeit: 4 min

In Erftstadt bewerben sich fünf Frauen für das Amt der Bürgermeisterin - einmalig im männerdominierten NRW-Kommunalwahlkampf. Kandidatin Carolin Weitzel erzählt, was in Erftstadt anders läuft.

Interview von Jana Stegemann , Düsseldorf

Nach 51 Jahren passiert es: Erftstadt mit seinen 50 000 Einwohnerinnen und Einwohnern bekommt an diesem Sonntag zum ersten Mal eine Bürgermeisterin. Gleich fünf Frauen bewerben sich in der erst 1969 gegründeten rheinischen Stadt bei Köln um das höchste Amt der Stadt: Die studierte Verwaltungsexpertin und CDU-Politikerin Carolin Weitzel ist eine von ihnen. Seit zwei Jahren arbeitet die 40-Jährige als Gleichstellungsbeauftragte in Erftstadt, leitet Projekte im Schul- und Kulturamt - und traut nebenbei als Standesbeamtin Paare. Zuvor war die Mutter von zwei Schulkindern viele Jahre als Arbeitsvermittlerin, Berufsberaterin und Kommunikationstrainerin tätig, zuletzt Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt bei der Bundesagentur für Arbeit.

SZ: Fünf Bürgermeister-Kandidatinnen. Wie hat Erftstadt geschafft, was bisher keiner anderen Kommune in Deutschland gelungen ist?

Carolin Weitzel: Ich glaube, das hat nicht speziell mit Erftstadt zu tun - sondern mit den Menschen. Hier leben viele, die sich mit ehrenamtlichem Engagement und Sachverstand einbringen wollen. Und wir haben tatsächlich seit 30 Jahren einen Frauenbeirat, das ist auch etwas Besonderes.

Was macht der?

Der Beirat besteht aus 16 Frauen: Vertreterinnen der politischen Parteien, Frauen aus Vereinen, kirchlichen und sozialen Trägern sowie Unternehmerinnen aus der Region arbeiten seit 30 Jahren daran, die Sichtbarkeit und die Lebenssituation von Frauen in Erftstadt zu verbessern.

Und deshalb gibt es gleich fünf Bürgermeisterkandidatinnen?

Das sind ja ganz persönliche, individuelle Gründe, warum sich jede Frau entschieden hat, Bürgermeisterin werden zu wollen. Das möchte ich nicht auf den Beirat beziehen. Als Gleichstellungsbeauftragte freue ich mich natürlich über jede Kandidatin. Und vielleicht führt es ja im besten Fall dazu, dass wir noch viel mehr Frauen für Kommunalpolitik begeistern können. Aus anderen Kommunen bekommen wir übrigens sehr viel Zuspruch, vor allem von Männern. In Erftstadt sagen viele: Es wird jetzt Zeit, wir hatten ja noch nie eine Bürgermeisterin. Eine Frau an der Spitze unserer Stadt eröffnet neue Sichtweisen und damit neue Möglichkeiten.

Wann haben Sie den Entschluss gefasst, zu kandidieren?

Das war erst mal ein langes Gedankenspiel mit mir selbst. Der amtierende Bürgermeister hat schon Anfang letzten Jahres gesagt, dass er nicht wieder antritt, so dass ich Zeit zum Nachdenken hatte. Ich habe danach mit meinem Partner gesprochen, ihn in die Entscheidung miteinbezogen. Und so habe ich Stück für Stück immer weiter abgeklopft, inwieweit mein Gedanke realisierbar ist. Motiviert hat mich, dass ich viel Zuspruch aus meinem privaten und beruflichen Umfeld bekommen habe. Das war wichtig und hat mir gezeigt, dass meine Selbsteinschätzung mit der Fremdeinschätzung übereinstimmt. Geholfen hat auch, dass es immer schon ein Teil meiner Arbeit war, Frauen zu motivieren, ihren Weg zu gehen. Und dann kommt hinzu, dass Erftstadt meine Heimat ist, ich bin hier aufgewachsen. Ich kenne den Ort, ich bin bewusst von einer Bundesbehörde in die Kommunalpolitik gewechselt, ich engagiere mich gerne für die Menschen hier.

Der Frauenanteil in Räten oder Kommunalparlamenten in Nordrhein-Westfalen liegt im Durchschnitt bei nur 30 Prozent. Im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW gibt es auf kommunaler Ebene nur zwei Spitzenpolitikerinnen: die parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker in Köln und die CDU-Landrätin Eva Irrgang in Soest. Wieso gibt es noch immer so wenige Frauen in der Kommunalpolitik?

Sie haben schon zwei Vorbilder angesprochen, von denen braucht es aber noch viel mehr. Wir brauchen mehr Frauen wie Henriette Reker und Eva Irrgang. Damit auch junge Frauen den Mut haben, zu kandidieren. Wir haben eine Kanzlerin, wir haben in Brüssel eine Kommissionspräsidentin, wir haben sechs Bundesministerinnen, wir sind auf einem guten Weg. Wir brauchen aber auch die Rahmenbedingungen, die es Frauen ermöglichen, mitzugestalten. Wir brauchen eine Atmosphäre, in der sich Frauen wohlfühlen. Das hat mit Sitzungszeiten im Stadtrat zu tun, aber auch mit der Diskussionskultur.

Wenn Sie Bürgermeisterin werden, ändern Sie dann die Sitzungszeiten? Weg von Marathonsitzungen bis Mitternacht?

Da kann ich keine Vorgaben machen, das muss bei einer konstituierenden Sitzung gemeinsam mit allen Mitgliedern entschieden werden. Dass man aber zum Beispiel Sitzungsunterbrechungen für Stillzeiten macht, ist für mich selbstverständlich.

Ist denn der Stadtrat von Erftstadt gerade paritätisch besetzt?

Nein, wir haben nur einen Frauenanteil von 32 Prozent.

Wie war bisher der Wahlkampf in Erftstadt zwischen fünf Frauen?

Sehr sachlich und fair. Wir begegnen uns gegenseitig mit Achtung und auf Augenhöhe. Wir wissen, dass nur eine von uns Bürgermeisterin werden kann. Dass wir im Wettbewerb starker Kandidatinnen stehen. Jede möchte gewinnen, aber ich bin sicher, dass wir nach der Wahl wertschätzend miteinander umgehen werden. Das hat aber nichts mit unserem Geschlecht zu tun - das ist einfach eine Frage des guten Stils. Ab und zu tauschen wir uns auf Terminen auch persönlich aus, aber wir sind weit von einem Kaffeekränzchen entfernt.

Wäre es Ihnen manchmal lieber gewesen, dass sich noch ein Mann hätte aufstellen lassen?

Das Geschlecht ist irrelevant an dieser Stelle. Es zählt immer die Persönlichkeit, die Qualifikation und auch die fachliche Eignung für das Amt.

Machen Frauen anders Politik?

Ich finde diese Kategorisierung bei all den Herausforderungen, vor denen wir als Kommune stehen, nicht angemessen. Wir haben mit der Corona-Pandemie und gleichzeitig dem gigantischen Strukturwandel im Rhein-Erft-Kreis in den nächsten Jahren enorme Themen zu bewältigen. Das hat nichts mit Geschlechterperspektiven zu tun. Ich finde es trotzdem extrem wichtig, dass die Räte und die Parlamente die gesellschaftliche Wirklichkeit abbilden - und mehr als die Hälfte aller Menschen in Nordrhein-Westfalen sind nun mal Frauen. Kommunalpolitik regelt die Dinge des alltäglichen Lebens, da dürfen wir Frauen nicht nur vom Rand zugucken. Wir müssen das politische Gewicht haben, diese Entscheidungen mitzutreffen.

Wurden Sie im Wahlkampf oft gefragt, wer nun Ihre beiden Kinder betreut?

Das war nicht die häufigste Frage, aber sie kam auch - und zwar von Frauen und von Männern. Ich stelle dann immer eine Gegenfrage: Würden Sie diese Frage auch einem Mann stellen? Damit war das Thema meistens erledigt.

Was raten Sie Frauen, die überlegen, in die Kommunalpolitik zu gehen?

Zuschauen, sich ein eigenes Bild machen, mitmachen. Und vor allem Spaß dabei haben. Politik macht Spaß. Wenn das jemand für sich entdeckt, dann los!

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